Die Leiche im rosa Nachthemd
kann mir Namen nicht mehr so gut
merken wie früher. Aber es stecken ja auch heutzutage keine Persönlichkeiten
mehr dahinter. Ich erinnere mich noch, früher wimmelte es in San Franzisko von
Persönlichkeiten. Ich...«
Ich sah auf meine Uhr. »Wenn
ich meinen Zug noch erwischen will, muß ich mich beeilen«, sagte ich. »Es war
wirklich nett, Sie kennenzulernen. Nehmen Sie’s mir nicht übel, daß ich jetzt
so plötzlich fort muß. Die Rechnung bitte, Herr Ober. Ich will Sie nicht
hetzen, Mr. Ranigan. Trinken Sie in Ruhe den Sekt aus. Ich wäre ja gern noch
geblieben, aber so ist das eben.«
»Ja, ja, so ist das heutzutage.
Wenn man einen Dollar verdienen will, muß man vierundzwanzig Stunden am Tag im
Trab sein und zupacken, bevor einem einer zuvorkommt. Früher war das alles
anders. Da war genug Geld da für alle, und niemand mißgönnte dem anderen seinen
Verdienst. Und was man verdiente, konnte man behalten. Heute kommen die Kerle
vom Finanzamt und schnüffeln in den Büchern rum und pressen einem den letzten
Cent aus den Rippen.«
Ich schüttelte ihm die Hand und
verschwand eilig. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich, daß er mit dem
Ober sprach und ihm bei dem vierten Glas Sekt Geschichten aus San Franziskos
guter alter Zeit erzählte.
Es war eine günstige Zeit:
Zwischen zwei Kinovorstellungen. Ich schob einen Zwanzigdollarschein durch die
Öffnung in der Scheibe des Kassenschalters und legte meine Lippen so nahe wie
möglich an die Sprechmembrane.
Das Mädchen, das auf einem
hohen Stuhl an der Kasse saß, legte ihre wohlgeformten Finger auf verschiedene
Tasten und lächelte mich mit weitgeöffneten Unschuldsaugen an. Sie mochte Ende
Zwanzig sein. »Wieviel?« fragte sie. »Eine?«
»Keine«, sagte ich.
Das Lächeln verschwand. »Sagten
Sie — eine?«
»Ich sagte: Keine.«
Sie nahm die Finger von den
Tasten und sah mich abwartend an.
»Ich möchte für zwanzig Dollar
Informationen«, sagte ich.
»Worüber?«
»Über Ihre Zeit in der Nixen-Bar .«
»Kenne ich nicht.«
»Nur eine kleine Information
unter Freunden.«
»Sie haben mit diesem Ranigan
geschwatzt«, sagte sie. »Der Alte hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich
hab’ in meinem ganzen Leben da nicht gearbeitet. Er hat sich das eingebildet,
und es gehört zum Geschäft, den Kinobesuchern zum Munde zu reden.«
Ich schob den
Zwanzigdollarschein langsam hin und her. »Können Sie zwanzig Mäuse gebrauchen?«
»Natürlich, aber — was wollen
Sie wissen.«
»Es handelt sich wirklich nur
um eine ganz harmlose Auskunft. In der Nixen-Bar arbeitete damals eine
Empfangsdame namens Amelia Sellar. Erinnern Sie sich an die?«
Sie griff mit ihren langen schmalen
Fingern nach dem Schein und hielt ihn fest. »Ja.«
»Kannten Sie sie gut?«
»Recht gut.«
»Wo wohnte sie?«
»Im Bickmore Hotel. Mit
Flo Mortinson zusammen. Flo arbeitete für einen Ring von Schmugglern. Die
beiden waren dick befreundet.«
»Wo steckt Amelia jetzt?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe
sie ewig nicht gesehen.«
»Hat Amelia Ihnen jemals etwas
über ihre Vergangenheit erzählt?«
Sie nickte.
»Zum Beispiel?«
»Sie lebte in einem
Provinzkaff, für das sie eigentlich viel zu flott war. Ihr Mann kam ihr auf die
Schliche und reichte die Scheidung ein. Aber sie hat ihn reingelegt und sich
sein gesamtes Vermögen unter den Nagel gerissen. Damit ist sie nach San
Franzisko gegangen. Die Mäuse hat dann irgendein Kerl abgesahnt.«
»Hat er sie geheiratet?«
»Das bezweifele ich.«
»Aber wo sie jetzt ist, wissen
Sie nicht.«
»Nein.«
»Wissen Sie, wo sich Flo
Mortinson aufhält?«
»Die habe ich vor drei Jahren
zum letztenmal gesehen. Wir haben uns zufällig auf der Straße getroffen. In Los
Angeles war das.«
»Was tat sie damals?«
»Sie war Empfangsdame in einem
Nachtklub.«
»Haben Sie sie nach Amelia
gefragt?«
»Nein.«
»Können Sie mir noch einen Tip
geben, wie ich Amelia Sellar ausfindig machen könnte? Sie hat eine Masse Geld
geerbt. Dazu muß sie nur nachweisen, daß sie sich nie von ihrem Mann hat
scheiden lassen.«
Sie kniff nachdenklich die
Augen zusammen. »Ich glaube nicht, daß die Scheidung durchgekommen ist«, meinte
sie. »Eingereicht war sie zwar, aber sie hat dann das Verfahren verschleppt,
glaube ich. Ihr Mann ist mit seiner Geliebten auf und davon. Kann ich ihm nicht
verdenken. Amelia hat sich jedenfalls von der Kleinstadtatmosphäre nicht
unterkriegen lassen. Das war ‘ne ganz Flotte.«
»Hat sie jemals erwähnt, wo
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