Die Leopardin
aus war, Franck mit seinen Informationen zufrieden zu stellen. »Es heißt, dass sie länger als alle anderen Geheimagenten überlebt hat. Sie war in Nordfrankreich schon überall.«
Das war brisant. »Steht sie auch mit anderen Zellen in Kontakt?«, fragte Franck.
»Ja, ich glaube schon.«
Das war ungewöhnlich – und bedeutete, dass diese Frau eine sprudelnde Informationsquelle über die Hintergründe der Resistance sein musste. »Sie ist nach dem Gefecht gestern entkommen«, sagte Franck. »Wo ist sie Ihrer Meinung nach hin?«
»Zurück nach London«, antwortete Lefevre, »da bin ich mir ganz sicher. Sie wird dort Bericht erstatten.«
Franck unterdrückte einen Fluch. Er wünschte sich diese Frau in Frankreich, wo er sie fangen und verhören konnte. Wenn sie ihm in die Hände fiel, konnte er die halbe Resistance zerschlagen – so, wie er es Rommel versprochen hatte. Aber sie war über alle Berge.
Er stand auf. »Das war’s für heute«, sagte er. »Leutnant Hesse, holen Sie einen Arzt für die Gefangenen. Ich will nicht, dass sie heute noch sterben – sie haben uns möglicherweise noch mehr zu erzählen. Dann tippen Sie Ihre Notizen ab und legen sie mir morgen Früh vor.«
»Zu Befehl, Herr Major.«
»Machen Sie einen Durchschlag für Sturmbannführer Weber, aber den geben Sie ihm erst, wenn ich es Ihnen sage.«
»Verstanden.«
»Ich fahre selbst zum Hotel.« Und mit diesen Worten verließ Dieter Franck den Raum.
Die Kopfschmerzen begannen, als er ins Freie trat.
Auf dem Weg zu seinem Wagen rieb er sich heftig die Stirn. Dann verließ er das Dorf und fuhr nach Reims. Die Strahlen der Nachmittagssonne schienen von der Asphaltdecke der Straße direkt in seine Augen gespiegelt zu werden.
Solche Migräneanfälle befielen ihn oft unmittelbar nach Verhören. In einer Stunde würde er blind und hilflos sein, deshalb musste er unbedingt im Hotel ankommen, bevor der Anfall seinen Höhepunkt erreichte. Um so wenig wie möglich bremsen zu müssen, drückte er permanent auf die Hupe. Weinbergarbeiter, die gemächlich nach Hause trotteten, stoben auseinander, Pferde stiegen, und ein Karren landete im Straßengraben. Die Schmerzen trieben Franck die Tränen in die Augen. Ihm war Übel.
Er schaffte es nach Reims, ohne den Wagen zu Schrott zu fahren. Es gelang ihm sogar, die Stadtmitte zu erreichen. Vor dem Hotel Frankfurt war er kaum noch imstande, einen Parkplatz zu suchen. Er ließ den Wagen einfach stehen und taumelte in seine Suite.
Stephanie wusste sofort, was mit ihm los war. Während Dieter Franck seinen Uniformrock und das Hemd auszog, holte sie das Erste-Hilfe-Päckchen aus ihrem Koffer und zog eine Morphiumspritze auf. Franck ließ sich aufs Bett fallen, und Stephanie stach ihm die Nadel in den Arm. Der Schmerz ließ fast augenblicklich nach. Stephanie legte sich neben ihn und streichelte mit den Fingerspitzen sanft sein Gesicht. Kurz darauf verlor Dieter Franck das Bewusstsein.
Felicity Clairets Wohnung war ein möbliertes Zimmer in einem großen alten Haus in Bayswater. Es befand sich ganz oben unter dem Dach, und wenn eine Bombe das Gebäude traf, so würde sie genau auf ihrem Bett landen. Flick hielt sich allerdings nicht allzu oft in ihren vier Wänden auf – nicht aus Angst vor Bomben, sondern weil das eigentliche Leben anderswo stattfand: in Frankreich, im SOE-Hauptquartier oder in einem der SOE-Ausbildungscamps irgendwo in England. Persönliche Dinge gab es nur wenige in ihrem Zimmer: ein Foto, das Michel beim Gitarre spielen zeigte, ein Bücherbord mit Werken von Flaubert und Moliere in der Originalsprache und ein Aquarell, das sie mit fünfzehn selbst gemalt hatte, eine Stadtansicht von Nizza. Drei Schubladen der kleinen Kommode enthielten Kleidung, die vierte Waffen und Munition.
Müde und deprimiert entkleidete sich Flick, legte sich aufs Bett und blätterte eine Ausgabe der Zeitschrift Parade durch. Berlin war am vergangenen Mittwoch von eintausendfünfhundert Flugzeugen bombardiert worden, las sie. Das überstieg beinahe jede Vorstellungskraft. Sie versuchte sich die Lage der deutschen Zivilbevölkerung auszumalen, doch alles, was ihr einfiel, war eine mittelalterliche Darstellung der Hölle – lauter nackte Menschen, die in einem Feuerhagel bei lebendigem Leib verbrennen. Sie schlug die nächste Seite auf und las eine alberne Geschichte über minderwertige »V- Zigaretten«, die als edle Woodbines verkauft worden waren.
Immer wieder kehrten ihre Gedanken zurück zu der Katastrophe
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