Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Bild, von denen Aldobrandi erzählt hatte, dann wandte er sich wieder dem Text zu.
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›Aber eine Schrift ist bedauerlicherweise dieser christlichen Umsicht entgangen, mein Göttlicher: von dieser Schrift existieren lediglich zwei Exemplare, die sich auf zwei Schriftrollen in diesen beiden versiegelten Zylindern befinden, welche ich jetzt in meiner unwürdigen Faust halte.‹ Arius hielt inne, hob die beiden Zylinder und kam zum Schluss: ›Der Text, von dem ich spreche, ist die Apokalypse des heiligen Johannes.‹
Ein tiefes, drückendes Schweigen senkte sich hernieder; in den Blicken der Geladenen konnte man Überraschung, Verwirrung und Empörung erkennen. Alle warteten auf die Maßregelung durch den Kaiser. Auf ein Zeichen Konstantins hin begab der Quästor sich hinter den Schleier. Im Gegenlicht sah man, wie er niederkniete, sich mit dem Ohr Konstantins Mund näherte und dessen Verkündung lauschte. Dann tauchte er wieder vor der Apsis auf und sagte: ›Der Göttliche Augustus ist empört über deine jüngste Häresie, Presbyter Arius, und befiehlt dir, davon augenblicklich abzuschwören, um deine ohnedies prekäre Situation nicht weiter zu verschlimmern. Die Apokalypse des Johannes ist nämlich ein kanonischer Text, der ganzen Christenheit teuer, weil reich an heiligen Prophezeiungen und göttlichen Mahnungen, die dem heiligen Evangelisten in einer direkten Vision auf der Insel Patmos mitgeteilt wurden, am Ende seiner irdischen Lebtage.‹
Arius war von dieser indignierten Erwiderung nicht überrascht. Er zögerte nicht einen Augenblick, den rechten Arm zu senken und die Hand zu dem bronzenen Kohlebecken auszustrecken, das in der Mitte des Atriums stand, wobei er Zeige- und Mittelfinger reckte, um nach alter Sitte um die Erteilung des Wortes zu bitten. Die anderen rührten sich nicht, da sie nicht den geringsten Hinweis auf ihr eigenes Urteil geben wollten, das sich womöglich als voreilig hätte entpuppen können: Nur Athanasius war sichtlich ergötzt, da er das Debakel seines ewigen Widersachers vorausahnte.
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»Dieser Athanasius scheint ein richtiger Fiesling zu sein«, meinte Alanna.
»Er konnte es sich leisten«, sagte Liam hastig, ganz gebannt von der Lektüre, dann fuhr er fort:
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›Das Wort sei dir noch einmal erteilt, Presbyter Arius, zum Zeichen des erhabenen Großmutes des Göttlichen‹, erklärte der
Quästor und fügte hinzu: ›Aber dies wird das letzte Mal sein: Wenn es dir nicht gelingt, auf den vom Konzil geebneten katholischen Grund zurückzukehren, und wenn du in deiner Richtigstellung nicht überzeugend wirkst, wirst du in Ketten aus diesem Saal geführt und dein Andenken getilgt werden. Der Göttliche Kaiser, der dir sein Ohr leiht, hat mir aufgetragen, dir das zu sagen.‹
›Göttlicher Augustus‹, setzte Arius wieder an, ›meine Brüder, es gibt Tatsachen, die in der apostolischen Mission nicht offenbart worden sind, nach dem Willen des heiligen Apostels und Evangelisten Johannes: Die Erinnerung an diese Wunder und die Beweise derselben sind bis zum heutigen Tag durch die Kette der bischöflichen Nachfolge peinlich genau gehütet worden, und zwar in unserer Kirche in Ephesus, wo die sterblichen Überreste des Evangelisten Johannes ruhen, der ebenda die letzten Jahre seines Amtes zubrachte.‹
Ephesus …«, überlegte Liam. »Genau dahin ist Molteni jeden Sommer geflogen.«
»Lies weiter«, forderte Alanna ihn auf, die inzwischen ebenfalls von der Geschichte gefesselt war.
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Arius hielt einen Moment inne, bis sich der ganze Saal in gespannter Neugier befand, dann sprach er weiter: ›Nun, wie alle guten Christen wissen, bemächtigte sich der Geist mit seiner Stimme des Johannes auf der Insel Patmos, wohin ihn Kaiser Domitian wegen seines Glaubens und seiner Predigten verbannt hatte. Dortselbst machte er, da er bereits ein Greis und von böser Krankheit befallen war, Gebrauch von einem Gebräu wilder Kräuter, das ihm lange Zeit vorher ein chaldäischer Magier verordnet hatte. Der Trank linderte seine körperlichen Leiden und gestattete ihm, die Stimme der Erzengel zu vernehmen und das Ende der irdischen Reiche und das Heraufziehen des himmlischen Jerusalems zu sehen. Diese Visionen schrieb Johannes sogleich
nieder, auf dass nichts verloren ginge ob seines schwächlichen, greisen Gedächtnisses. Bereits zu jener Zeit assistierte ihm ein anderer Johannes, sein Namensvetter und bevorzugter Diakon, in Ephesus geboren. Deshalb erwählte Johannes nach
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