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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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dachte, ich hätte dir die Augen geschlossen.«
    Der Tote starrte mit blinden Augen zur Decke. Leon zog sich ein frisches Paar Latexhandschuhe über und drückte der Leiche die Lider zu. An die Decke starren gehörte zu den Ungezogenheiten, die er bei Verstorbenen nicht tolerierte. Er machte noch ein paar letzte Notizen, dann bereitete er die Leiche für die Aufbewahrung vor. Leon hatte dafür mittlerweile ein genaues System. Zuerst der Zettel am Zeh, dann der Plastikbeutel und schließlich ab in das Tiefkühlfach.
    »Du warst ein gesunder Bursche, nicht wahr?« grunzte er, als er den schweren Leichnam vom Tisch in das Schubfach beförderte. Manchmal schienen sich die Leichen dagegen zu wehren, als wollten sie nicht in der Dunkelheit fortgeschlossen werden, als wollten sie noch eine Weile in der hell erleuchteten Welt verbleiben. Aber eigentlich lag es hauptsächlich an der Rigor Mortis und dem schlüpfrigen Plastik, daß es so schwierig war. Endlich hatte Leon es geschafft. Er stützte sich auf die offene Schubfachtür, um wieder zu Atem zu kommen. Vielleicht wurde er tatsächlich zu alt für diesen Job. Er konnte immer noch im Polsterwarengeschäft seines Neffen Benny arbeiten. Da war es auf jeden Fall wärmer, und er würde nicht mit der Kundschaft sprechen müssen, wenn er nicht wollte, nicht, wenn er im Hinterzimmer des Geschäfts blieb. Außerdem schuldete Benny ihm noch einen Gefallen. Er entschloß sich, am Morgen seinen Neffen anzurufen, dann schwang er die Tür langsam zu.
    Die Leiche starrte ihn durch die klare Plastikfolie an.
    Leon verharrte. »Was zum Teufel …«, flüsterte er. Diesmal hatte er sie geschlossen, da war er sich sicher. Aber die trüben Augen des Toten waren weit aufgerissen. Leon zitterte, es war wieder diese verfluchte Kälte. Er beugte sich über das Schubfach, um besser sehen zu können, um sich zu vergewissern, daß er sich nicht irrte. Sein Atem kondensierte auf dem Plastik, als er in die Augen des Toten blickte.
    Eine Hand durchstieß die Folie, griff aus dem Schubfach nach oben und schloß sich um Leons Kehle. Leon versuchte sich zu wehren, zu schreien, aber der Griff war zu stark: er konnte ihn nicht brechen. Noch während sein Verstand darum kämpfte, überhaupt zu begreifen, was hier geschah, brannten seine Lungen vor Luftmangel. Wie ein Feuerwerk explodierten helle Lichtpunkte vor seinen Augen. Irgendwie schaffte er es, auf die Leiche hinunterzusehen. Sein Blick traf sich mit dem des Toten in dem Schubfach, und in den leblosen Augen sah er … das Böse. Eine Bösartigkeit, so groß und abgrundtief, daß sie – wie er plötzlich glasklar erkannte – älter als die Schöpfung selbst war. In dieser Sekunde begriff Leon Arlington alles. Eine Finsternis kam. Sein letzter Gedanke war, daß ihm kalt war, so furchtbar kalt. Dann verstärkte sich der Griff der toten Finger um seine Kehle mit schrecklicher Kraft.
    Das Geräusch brechender Knochen hallte von den Kacheln wider.

13
    Grace trank den Rest ihres Kaffees aus und starrte dann auf den Boden der leeren Tasse. Trotz des Gefühls der Entfremdung, das sie früher an diesem Tag heimgesucht hatte, glaubte sie dennoch in der Lage zu sein, in ihr Apartment zurückzukehren. Vielleicht konnte sie sich in eine Decke eingehüllt auf ihrem Futon zusammenrollen und beim leisen Hintergrundgeräusch des Spätprogramms einschlafen, und wenn sie dann am Morgen aufwachte, würden die Dinge nicht mehr ganz so seltsam und fremdartig sein, nicht so, als würde sie nicht dazugehören.
    Grace stand auf und ging in Richtung Pausenraum, um die Tasse auszuspülen. Unterwegs nickte sie Officer Erwin zu. Er stand an einem der Schwesterntische und sprach mit dem Praktikumsarzt, der Grace vorhin assistiert hatte. Erwin erwiderte das Nicken. In der Nähe sah Morty Underwood mit grämlicher Miene zu und fummelte an der Rolle Antacidtabletten herum, die er zu öffnen versuchte. Grace kämpfte nicht gegen die kleine Welle der Zufriedenheit an, die sie fühlte, als sie weiterging.
    Sie hatte den Empfangsbereich gerade zur Hälfte durchquert, als die Aufzugglocke ertönte. Später vermochte sie nicht mehr genau zu sagen, was sie eigentlich dazu veranlaßt hatte, einfach stehenzubleiben, sich umzudrehen und zuzusehen, wie die Aufzugtüren aufglitten. Vielleicht lag es daran, daß das Klingeln in ihrem Unterbewußtsein beinahe wie eine Totenglocke klang. Sie sah wie gelähmt zu, als die Türen zur Seite glitten wie ein senkrecht stehendes, sich öffnendes

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