Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
Abendessen. Kommst du mit?«
»Danke. Gern.«
Wieder einmal überkam ihn das seltsame Gefühl dazuzugehören. Er war mittlerweile mehr als nur der Arzt. Seine Verantwortung war dank der vielen Erfolge in letzter Zeit leichter zu ertragen. Er war jetzt ein Mitglied der Gemeinschaft. Das gefiel ihm. Es gefiel ihm sogar so sehr, dass der Gedanke, wieder fortzugehen, einen schmerzlichen Beigeschmack hatte – auch abgesehen von Rosa.
Das Abendessen in der taberna war laut und ausgelassen wie immer. Chris, Ex und Allison holten sich die Teller mit Essen bei Jameson ab, der Kantinendienst hatte. Niemand fand besonders viel Gefallen an der Aufgabe, das gemeinsame Abendessen zu kochen und auszugeben, und deshalb hatte Viv ein System entwickelt, bei dem jede Woche jemand anders an die Reihe kam. Chris fand es lustig, bärbeißige, beinharte Bravos Eintopf austeilen zu sehen. Er hatte noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen für seine Erheiterung, weil sie ihrerseits todsicher über seine beschissenen kulinarischen Katastrophen gelacht hatten.
»Keine Erholung für den jungen Vater?«, fragte er Jameson.
Der Mann hatte dunkle Ringe unter den Augen, aber er lächelte seit Wochen ununterbrochen. »Viv ist ein unbarmherziger Feldwebel, mano . Espi war gestern Nacht sechsmal wach, aber ich muss trotzdem kochen.«
Ex schnupperte an seinem Teller Bohnen. »Das riecht … essbar?«
»Du isst es ja doch, selbst wenn es das nicht ist.« Jameson grinste und ließ dann die Kelle sinken. Er stöberte in seiner Westentasche herum und zog ein Stück Papier hervor. »Das hätte ich fast vergessen, Doc. Das ist für dich.«
Chris nahm den Zettel. »Wo zur Hölle hast du Papier aufgetrieben?«
»Frag mich nicht. Es ist von Tilly. Und jetzt ab mit dir. Du hältst den Betrieb auf.«
Falco und Lem kamen mit lauten und verdächtig betrunken klingenden Stimmen durch die Tavernentür hereingepoltert. Wo hatten sie Alkohol aufgetrieben? Chris runzelte die Stirn, folgte dann aber Ex und Allison zu dem Tisch, den sie ausgesucht hatten. Er aß schnell, da ihm schon vor langer Zeit aufgegangen war, dass heißes Essen weitaus schmackhafter war.
Als sein Magen dann mit wirklich anständigen Bohnen und einer Art Brot aus Maismehl – einem unerwarteten Leckerbissen – vollgestopft war, öffnete er den Brief.
Lieber Chris,
meine Familie war sehr traditionsbewusst, und deshalb ist mir von Kindesbeinen an eingebläut worden, mich schriftlich zu bedanken. Ob Geburtstagsfeier oder Weihnachtsgeschenk, wir haben eine Dankeskarte für alles geschrieben. Meine Mutter hat immer gesagt, das würde sich so gehören, selbst im Angesicht des Chaos. Das kümmert heute wahrscheinlich die meisten Leute nicht mehr, aber ich dachte, dass es dir vielleicht etwas bedeutet.
Chris lächelte. Er hatte sich daran gewöhnt, alle in Valle als im Grunde wohlgesinnt, aber unheilbar ungehobelt zu betrachten. Tilly war eine unbeugsame Erinnerung an die Vergangenheit, manchmal auf schmerzliche Weise. Selbst ihre förmliche Ausdrucksweise erinnerte an eine Zeit, in der so etwas noch wichtig gewesen war.
Das einzige Problem dabei, diesen Brief abzufassen, besteht darin, dass Worte allein mir unzureichend erscheinen. Wie kann ich dir je für das danken, was du für Jameson und mich getan hast?
Unsere Esperanza ist nur deinetwegen am Leben und gesund. Bitte werte deinen Beitrag nicht ab, indem du sagst, dass ich auch ohne dich gut zurechtgekommen wäre. Ich weiß nur, dass ich immer weiter in Panik geraten wäre, wenn du nicht da gewesen wärst. Jameson wäre, so stark er im Kampf auch sein mag, gelähmt gewesen, weil ich ihm so viel bedeute. Du hast uns beide beruhigt und angeleitet. Dafür werde ich dir ewig dankbar sein.
Du hast mich einmal mit etwas verwirrter Miene gefragt, wie ein Mädchen aus der Oberschicht wie ich bei einem Straßenschläger wie Jameson gelandet sei. Ich glaube, es war schieres Glück. Ohne ihn wäre ich wohl nicht mehr am Leben, und jemanden zu brauchen kann zu Liebe werden, ganz gleich, ob das richtig oder falsch ist. Es war ein Segen für uns beide – genau wie du.
In ewiger Dankbarkeit
Tilly
Chris holte mühsam Luft, schluckte und sah zur Decke empor.
Ein Ellenbogen traf ihn an den Hinterkopf. Er wirbelte, immer noch teilweise in den Brief versunken, herum und sah Falco viel zu nahe bei sich stehen. »Tut mir leid, Doc. Ich habe dich gar nicht gesehen.«
»Nicht der Rede wert«, sagte Chris und fraß seine Abneigung in sich hinein.
Falco
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