Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
die Schnauze!«
»… und zugesehen hat, wie ihr Bruder …«
Sie stürzte sich fluchend und schreiend auf ihn. Chris fing sie auf, aber der Schwung riss sie beide zu Boden. Ihre Stirn prallte so kräftig gegen seine, dass er Sterne sah. Zähne drangen ihm in den Unterarm. Er packte Rosa am Zopf und zog daran. Nachdem er sich einmal schnell herumgerollt hatte, lag sie unter seinem ausgestreckten Körper.
»Es ist noch früh, aber auch sehr öffentlich«, keuchte er. »Rosa, tu das nicht.«
»Verdammt, runter von mir! Und rühr mich nicht an.«
»Kein Problem.« Er wälzte sich von ihr herunter, stand auf und klopfte sich den Staub von den Jeans. »Aber ich komme zurück. Weißt du, da draußen in den Höhlen ist eine Familie, die medizinische Versorgung braucht. Und meine Lampe ist auch noch dort.«
»Willst du sie etwa diesen Gestaltwandlern schenken?«
»Nein. Ich werde sie bei Wicker gegen eine Flasche Wodka eintauschen und mich dann betrinken, bis ich nicht mehr aufrecht stehen kann.« Er streckte ihr die Hand hin.
»Lass mich in Ruhe.« Sie rappelte sich hoch und wischte sich einen roten Tropfen von der Lippe. »Du hast gesagt, du würdest deine Kraft nicht gegen mich einsetzen, aber genau das hast du gerade getan … und das, um mir eine Lektion zu erteilen, nicht wahr? Du bist nicht der Mann, für den ich dich gehalten habe, Cristián.«
Ihr Urteil traf ihn, denn das war nicht die Lektion gewesen, die er ihr hatte erteilen wollen. Vielleicht würde sie, wenn sie sich erst abgeregt hatte, erkennen, dass er ihr seinerseits nicht wehgetan hatte.
Verzweiflung keimte in seiner Brust auf. Trotz ihrer körperlichen Nähe und ihrer offensichtlichen Zuneigung war es ihr immer noch vollkommen egal, was er dachte. Er mochte ja zu ihrem Prinzgemahl befördert worden sein, aber wenn es darauf ankam, missachtete sie seine Meinung vollkommen.
Mit einem gemurmelten Fluch marschierte er davon. Er kehrte in sein Zimmer zurück und holte sich die Medikamententasche. Die Stadt erwachte gerade: Einige ihrer Bewohner stolperten in die Dämmerung hinaus, andere blinzelten erst. Die, die zu dieser verrückten Stunde schon wach waren, ließen ihn durch, als er aufs Tor zuschritt.
Rio hatte Wachdienst – einer von Valles treuesten Fußsoldaten. Wenn Rosa ihm befahl, Chris für immer auszusperren, würde Rio es tun. Gab es überhaupt etwas, das der Junge nicht für sie getan hätte? Und handelte Chris jetzt wie der Verräter, für den sie ihn hielt?
Aber er kam wieder und wieder zu dem Schluss, dass er seine Überzeugungen nicht verleugnen konnte. Nicht jeder Gestaltwandler stellte eine Bedrohung dar. Sicher, er war auch erst ein wenig argwöhnisch gewesen, als Jenna sich damals verwandelt hatte, aber er hatte ihre Güte und ihren Opfermut mit eigenen Augen gesehen. Das wusste er so gut, wie er seine eigene Haut kannte. In der Welt nach dem Wandel klammerte er sich an jede beliebige Sicherheit.
Als die Morgendämmerung die Wüste in verschie dene Rottöne tauchte, gestand er sich zugleich ein, dass Rosa in diesem Punkt vielleicht niemals nachgeben würde. Was würde er dann tun? In Valle bleiben, nur um ihr das Gegenteil zu beweisen? Sie missachtete seine Ansichten ohne jedes Zögern, sodass er sich fragte, ob irgendetwas, was er tat, zu ihr durchdringen würde. Es war durchaus möglich, dass auch ein Höchstmaß an Standhaftigkeit – zum Teufel, sogar ein Höchstmaß an Liebe – nicht für eine Besserung sorgen würde.
Mit einem unterdrückten Fluch versetzte er einem Stein einen Tritt.
Die Höhlen waren jetzt nur noch wenige Meter entfernt. Da er nun schon hier war, konnte er genauso gut seine verdammte Aufgabe erledigen.
»Hallo? Jacob? Seid ihr da drinnen?«
Ein Bär tappte langsam und drohend aus einer schattigen Felsspalte hervor. Chris’ Puls überschlug sich.
Ach du Scheiße.
»Ich bin hier, um euch zu helfen«, sagte er und stellte seine Tasche ab. »Ich bin der Arzt der Stadt. Ich dachte, ich könnte euch untersuchen, feststellen, ob deine Familie Hilfe braucht.«
»Hat sie dich geschickt?«, ertönte die Stimme der Frau. Colleen.
»Nein, das kann man nicht gerade behaupten.«
»Warum sollten wir dir glauben?«
»Es gibt keinen Grund. Aber ich denke, dein Mann würde mich in Stücke reißen, wenn ich hier wäre, um euch etwas zu tun.«
Colleen trat aus der Höhle ins schwache Licht des Sonnenaufgangs. »Hast du keine Angst?«
»Doch, zum Teufel, die habe ich.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber
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