Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
holte Atem und warf – eine Hand am Messer, falls Feinde bei ihm waren – einen Blick hinein.
Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie erstarren.
Chris saß allein in einer kleinen Höhle. Er hatte ein bewohnbares Lager mit ein paar unverzichtbaren Besitztümern eingerichtet – nicht mit seinem Tornister voller Arzneimittel, sondern mit seinem Initiationskorb, einer Solarlaterne und Decken. Rosa betrachtete ihn und die Umrisse seines gesenkten Kopfes, als er seine Haltung an der Höhlenwand ein wenig verlagerte.
Er las .
Er hatte sich zurückgezogen, aber er hatte ihr Geschenk mitgenommen.
Sie hatte vorgehabt, sich leise wieder davonzustehlen, aber irgendetwas verriet sie. Oder vielleicht wusste er aufgrund der schrecklichen Verbindung zwischen ihnen einfach, dass sie da war.
Ohne aufzuschauen, sagte er: »Bist du fertig damit, mich auszuspionieren?«
Rosa trat mit einem lässigen Schulterzucken in den Höhleneingang. »Ich musste sichergehen, dass dein Verhalten keine Bedrohung für Valle darstellt.«
»Logisch.« Sein Tonfall war gleichgültig, aber seine Augen sprühten im schwachen Licht Funken. »Das ist dir ja vor allem anderen wichtig – deine Stadt. Aber ich wette, sie hält dich nachts nicht warm.« Er markierte die Seite und legte das Buch beiseite. Jede Bewegung war langsam und kontrolliert, zeugte aber zugleich von Anspannung. »Du hast zu große Angst vor Nähe. Du könntest ja wieder verletzt werden, und du hast Angst, dass die anderen sehen könnten, dass du keine Alabastermadonna bist – dass du Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle hast. Eines sage ich dir: Es ist mir schwergefallen, mir einzugestehen, dass du ein Feigling bist.«
Sie schluckte schwer und sagte mit merklicherem Akzent: » Basta. Du weißt nichts über mich.«
»Das liegt daran, dass du eine Heidenangst vor dem hast, was passieren könnte, wenn ich es täte.«
»Leck mich am Arsch.«
»Jederzeit, Rosita. Stets zu Diensten.«
Dieses letzte Wort traf einen wunden Punkt. Wusste er Bescheid? Sie trat zwei Schritte zurück, während in ihr Jähzorn mit Kränkung und Furcht rang. Sex war für sie immer nur eine geschäftliche Transaktion gewesen, nicht mehr. Es war für sie überlebenswichtig gewesen herauszufinden, was Männer wollten, aber sie selbst hatte nie Sex gewollt, nur in Träumen.
Chris’ verkrampfte Gesichtszüge entspannten sich, als hätte er im Dämmerlicht einen Blick auf ihren Schmerz erhascht. Verdammt, er sah zu viel.
»Nun sei doch nicht so. Ich musste es überprüfen. Das ist mein Job.«
»Du hättest mir auch einfach vertrauen können.«
»Das tue ich«, sagte sie leise. »So sehr, wie ich nur irgendjemandem vertrauen kann. Aber ich dachte …«
»Was?«
»Du würdest dich mit jemandem treffen.«
Er kniff den Mund zusammen, zog die Knie an und ließ die Unterarme darauf ruhen. »Als ich vorhin Wache hatte, dachte ich, ich hätte hier draußen etwas gesehen. Aber ich habe alles abgesucht und nichts gefunden.«
Er hatte versucht, Valle zu beschützen. Sein Schwur bedeutete ihm etwas. Angesichts dieser Erkenntnis durchströmte sie Erleichterung, so kühl und willkommen wie der Wind, der von den Bergen herabblies. Sie wollte nicht, dass Chris ein Mann war, der sich davonmachte, wenn es schwierig wurde. Zu ihrem Entsetzen wollte sie ihm glauben, wenn er behauptete, sich geändert zu haben. Aber sie wusste nicht, ob sie die Enttäuschung würde verkraften können, sich geirrt zu haben.
»Danke.«
Als hätte sie nichts gesagt, fuhr er fort: »Und manchmal will ich nicht in der Stadt sein.«
»Aber warum hältst du dich hier draußen auf?«
»Zu viele Menschen. Das bin ich nicht mehr gewohnt.«
Sie genoss die Gesellschaft ihrer Bravos, aber nach den langen Jahren allein fiel es ihm wahrscheinlich schwer, die ganze Zeit von Stimmen und Geschäftigkeit umgeben zu sein. Noch ein Puzzleteil an ihm fand seinen Platz und schien zu passen. Stumm beobachtete Rosa das Spiel von Licht und Schatten auf seinem Gesicht und gestand sich im Stillen die Wahrheit ein. Ich wollte dich sehen. Es gefällt mir nicht, dass ich eifersüchtig war. Warum nur bist du mir wichtig, Cristián, warum?
»Ich muss dir etwas über heute Morgen erzählen«, sagte sie.
»So?«
Zaghaft ließ sie sich zu Boden sinken und setzte sich auf den Rand seiner Decken. Der Fels fühlte sich unter ihren Fingerspitzen kühl an. Sie war noch nie an solch einem intimen Ort mit einem Mann allein gewesen, und es fühlte sich unnatürlich an,
Weitere Kostenlose Bücher