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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Vogelscheuche wie ihm finden?
    Vittore steckte seinen Kopf zur Tür herein. »Also bist du wach.«
    »Natürlich bin ich wach.«
    »Das sehe ich. Aber vorher konnte ich es nicht wissen.«
    Er schaute über alle Maßen griesgrämig drein, was Pasquale als Zeichen dafür wertete, dass er wieder Schmerzen hatte. Die offenen Stellen an seinem Bein waren im Laufe der letzten Zeit erheblich schlimmer geworden, und die Beschwerden ließen sich auch durch vermehrten Schnapskonsum nicht lindern.
    Doch die Ursache von Vittores Ärger war ausnahmsweise eine andere. »Ich habe eine Ewigkeit geklopft«, sagte Vittore vorwurfsvoll. »Ich dachte schon, du hättest dich endlich vergiftet.«
    »Was soll das endlich ?«
    Vittore hob die Brauen. »Nichts Besonderes. Ich meinte nur, dass du herein sagen solltest, wenn ich klopfe.«
    »Ich habe es gesagt, oder nicht?«
    »Aber erst nach einer Ewigkeit«, meinte Vittore halsstarrig.
    Pasquale schwieg. Er hätte die von Piero aufgestellte Regel, dass jeder an die Tür pochen musste, der die hintere Werkstatt betreten wollte, auch abschaffen können, doch er dachte nicht daran. Nicht etwa, weil er auf Geheimhaltung bedacht war, sondern weil dieses Anklopfen eine der wenigen Ehrerbietungen war, die Vittore und die übrigen Arbeiter der Glaserei ihrem Meister erwiesen. Ansonsten wurde er zu seinem großen Verdruss eher wie ein Gleichgestellter von ihnen behandelt.
    Möglichweise lag es daran, dass er früher einer der ihren gewesen war, bevor er zum Eigner der Werkstatt aufgestiegen war, doch Pasquale argwöhnte eher, dass es ihm schlicht an der nötigen Autorität mangelte. Er bemühte sich, alles so zu machen wie Piero, doch er wusste selbst, dass er weit davon entfernt war, sich mit seinem Meister vergleichen zu können. Fachlich ja, das sicherlich. Er hatte Pieros Methoden verfeinert und verbessert und stand im Übrigen kurz davor, die Kunst des Spiegelmachens für alle Welt sichtbar zu revolutionieren. Die kreativen Aspekte bei der Herstellung von Fenstern würde er wohl nie in Gänze so hinbekommen wie Piero Foscari, doch handwerklich stand er seinem Meister in nichts nach.
    Seine Spiegel waren größer, reiner und härter als die der anderen Glaser, und das hatte sich in den letzten Jahren herumgesprochen, ohne dass er großartig etwas dazu hätte tun müssen. Es war ihm nicht nur gelungen, den Kundenstamm von früher beizubehalten, sondern er hatte etliche neue Abnehmer für die Produkte der Werkstatt gefunden, vor allem für die Spiegel. Sein Zwischenhändler lieferte die Ware an Kaufleute aus aller Welt, welche sie wiederum auf Schiffe luden, die bis zu den entferntesten Handelsstützpunkten der bekannten Welt segelten.
    Warum er es trotz allem nicht schaffte, dass seine Untergebenen ihm denselben Respekt zollten wie seinem früheren Meister, war ihm ein Rätsel. Er hatte es sich sogar angewöhnt, in den oberen Räumen zu essen und zu schlafen und trug zum Kirchgang ein samtenes Wams wie seinerzeit Piero, doch es half nichts. Vittore behandelte ihn trotz etlicher rüder Zurechtweisungen immer noch wie einen unreifen Lehrjungen und geizte zu keiner Gelegenheit mit launigen Sprüchen, die dieses Gefühl in Pasquale verstärkten. Die anderen Männer und Jungen in der Werkstatt waren höflicher, überschlugen sich aber ebenfalls in seiner Gegenwart nicht gerade vor Ehrerbietung. Vittore, dem das anscheinend nicht entgangen war, hatte ihm schon vor einer Weile allen Ernstes empfohlen, die Lehrjungen häufiger zu schlagen. Pasquale hatte dem Alten daraufhin mürrisch angekündigt, ihm als Erstem das Fell zu gerben, woraufhin Vittore ihn nur mit gebleckten Stummelzähnen angelacht hatte.
    »Der Kerl sagt, wenn du nicht rauskommst, kommt er rein. Es muss wohl wichtig sein.«
    »Wer immer es ist, er soll morgen wiederkommen«, meinte Pasquale zerstreut, die Blicke fest auf den Spiegel geheftet.    
    »Ich habe ein Versprechen gegeben und werde es halten«, widersprach jemand von der offenen Türe her. »Nun bin ich einmal da und werde mich der Verpflichtung, die mir auferlegt wurde, entledigen.«
    Pasquale schaute auf und betrachtete irritiert den Besucher, den man auf den ersten Blick für einen Knaben hätte halten können, wenn nicht die tiefe Stimme gewesen wäre. Der zu kurz geratene Fremde mochte Mitte zwanzig sein, reichte Vittore aber kaum bis zur Hüfte. Bei näherer Betrachtung war zu erkennen, dass er obendrein missgestaltet war; er hatte einen leichten Buckel und einen schief

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