Die Maenner vom Meer - Roman
zerschlug.
Die Nacht verbrachten sie in einer Grotte. Sie legten sich in der Nähe des Eingangs auf den feuchtkalten Steinboden, sahen jenseits des Sunds die schwarze Wölbung eines Bergrückens, darüber einige blinzelnde Sterne. Sie fröstelten, aber es war weniger die Kühle, die sie schaudern ließ, als die Furcht vor den Unterirdischen. Sie wagten nicht, laut miteinander zu sprechen, und wenn sie flüsterten, antwortete ihnen aus dem Dunkel ein vielzüngiges Tuscheln.
Björn lag lange wach, bevor er in unruhigen Schlummer fiel. Er träumt von Nanna. Sie ist nackt. Sie schmiegt sich an ihn, er spürt ihre harten Brustwarzen auf seiner Haut. Sie streichelt ihn. IhreHände gleiten an seinen Armen hinab, liebkosen seine Hüften, schließen sich um sein Glied. Er fühlt, wie es anschwillt, der Druck ihrer Hände nimmt zu, es tut ihm weh, der Schmerz wird stärker, er schreit auf, sein Schrei mischt sich mit anderen Schreien, sie verdichten sich zu schrillem Gekreisch, stinkender Atem fährt über sein Gesicht, er packt die Hand, die sein Glied umklammert hält, es ist eine große Hand, eine behaarte Hand, er tastet am Arm empor, faßt in einen struppigen Bart, umschließt mit beiden Händen einen Hals.
So kam es, daß er Vagn tötete.
Am Morgen, als die anderen sich von ihrem harten Lager erhoben, blieb Vagn als einziger liegen. Leif packte seine Schulter und rüttelte ihn. Vagns Kopf fiel leblos auf die Seite, zwischen den Lippen zwängte sich die Zunge hervor. Leif richtete sich auf und sah die Männer der Reihe nach an. Dann blieb sein Blick auf Björn haften, und dieser neigte beinahe unmerklich den Kopf.
Die Männer häuften Steine und Grassoden über Vagns Leichnam. Niemand fragte, woran er gestorben war. Wenn sein Tod überhaupt eine Frage in ihnen weckte, war es die, wer der nächste sein würde. Von Thormods Männern waren nur noch sechs am Leben. Sie hatten einander zu hassen begonnen; jeder sah im anderen, vor allem aber in Thormod, den Urheber seines Unglücks und erwog im stillen, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, statt es noch länger mit dem der anderen zu verknüpfen.
Zwei Tage gingen sie am südlichen Ufer des Sunds entlang, bis sie zu einem Hof kamen, der von zwei alten Leuten bewohnt war. Ohne daß ein Wort gewechselt wurde, führte die Bäuerin sie in die Vorratskammer. Sie enthielt nichts außer einem Stapel Stockfisch und einem Topf mit Hammelfett. Die Männer brachen den Fisch in kleine Stücke und wässerten ihn mit dem eigenen Speichel, bevor sie ihn hinunterwürgten. Dann nahmen sie das Boot des Bauern, einen schmalen, hochbordigen Kahn, dessen Steven sichelförmig nach oben gebogen waren, und ruderten auf den Sund hinaus.
Die See war kaum bewegt; die buchtenreiche Küste spiegelte sich in der glatten Wasserfläche. Möwenschwärme umwirbelten kreischend das Boot, während es an unzähligen Inseln vorbei nach Süden fuhr. Es dauerte mehrere Tage, bis die schroffen Klippen vor der südlichsten der Schafsinseln querab lagen und sie von einer starken Strömung auf das offene Meer hinausgetrieben wurden. Noch immer herrschte eine für diese Breiten ungewöhnliche Flaute. Es war, pflegte Björn später zu sagen, als ob Njörd das Atmen vergessen hatte.
Eine Weile ruderten sie noch, einer nach dem anderen. Sie ruderten kraftlos und mit langen Pausen zwischen den Ruderschlägen. Dann ließen sie sich von der Strömung treiben. Stille umgab sie und gleißendes Licht, das ihnen wie glühende Nadeln in die Augen stach. Mehr noch als der Hunger quälte sie der Durst. Hedin warnte sie, ihn mit Meerwasser zu stillen. Gunne Seehundsfloh trank es dennoch und begann daraufhin, die Augen zu verdrehen und wunderlich zu reden. In all den Tagen regnete es nicht ein einziges Mal, und nachts fiel kein Tau. Aber die Nächte schenkten ihnen Kühle und linderten den Schmerz in ihren Augäpfeln.
In einer dieser Nächte geschah es, daß Björn, ganz nah an seinem Ohr, Leifs Stimme vernahm: »Ich hätte es selbst tun sollen. Jetzt wird es einen von uns beiden das Leben kosten.«
Leifs Worte waren das letzte, was Björn mit wachen Sinnen vernahm. Von nun an verwoben sich Traum und Wirklichkeit auf unentwirrbare Weise. Er sah schwarze Vögel in enger werdenden Kreisen über sich schweben, auf ihren nackten Hälsen saßen alte, verschrumpelte Menschengesichter; er sah den grauen Rücken eines Wals vor dem Boot auftauchen; sah Wellen, hoch wie Berge, mit glatten, grünschimmernden Flanken; er hörte
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