Die Maetresse des Kaisers
und Halbwahrheiten den Überfall betreffend, und da der Kapitän erkannte, dass seine ehemaligen Passagiere sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten konnten, gab er widerwillig nach.
»Wie ist das nur möglich?«, sagte Bianca weinend, als sie endlich allein und geschützt unter Deck kauerten. »Egal, wohin wir fliehen, Heinrich und dieser unheimliche Mann in Schwarz stürmen wie Dämonen aus dem Schatten und bedrohen unser Leben. Woher wusste er, dass wir nach Brindisi wollten?«
»Die zwei sind Meister ihres Fachs«, entgegnete Lorenzo. »Sie bestechen, schüchtern ein, foltern und morden, wie es ihnen gerade in den Plan passt. Und die Menschen verraten ihnen, was sie wissen wollen.«
»Wir werden ihnen niemals entkommen.«
Bianca starrte hoffnungslos auf den Boden. Nach den Erfahrungen, die sie mit ihren Verfolgern gemacht hatte, war ihre Angst zur Panik angewachsen. Sie hatten nur diese Nacht, um auszuruhen, morgen mussten sie weiterziehen. Bianca sah keinen Ausweg mehr. Sie zögerte, ihren ursprünglichen Plan zu verfolgen und ihre alte Freundin Clara von Siena um Hilfe zu bitten. Bari lag etwas nördlich von Brindisi, und sie hatten eigentlich gehofft, den dortigen Hafen direkt anzulaufen, aber da sich alle Seeleute in Brindisi das größere Geschäft versprachen, segelten sie an Bari vorbei. Sie waren also gezwungen, ein Stück zurück über Land nach Bari zu reisen, doch nach dem gestrigen Erlebnis war sich Bianca nicht mehr sicher, ob sie überhaupt das Kloster der Ehrwürdigen Schwestern aufsuchen sollten.
Sie hatte Angst, Claras und das Leben der anderen Nonnen ebenfalls zu gefährden. Inzwischen war sie sich sicher, dass die beiden Männer, die ihnen so hartnäckig auf den Fersen waren, auch vor einem Überfall auf ein Kloster nicht zurückschrecken würden. Durfte sie noch mehr Menschen mit in ihr Elend hineinziehen?
Die Frau des Tuchmachers war bereits für sie gestorben. Und es war durchaus möglich, dass auch andere Menschen verletzt oder sogar getötet worden waren, um Informationen über sie und Lorenzo zu erpressen. Alle, die ihnen halfen, befanden sich in höchster Gefahr. Auch der Kapitän der Stella Maris. War es klug, sich ausgerechnet hier zu verstecken?
Bianca hoffte, dass ihre Verfolger diesen Winkelzug nicht durchschauen würden, beschloss aber, noch vor dem Morgengrauen das Schiff zu verlassen und weiterzuziehen. Blieb allerdings die Frage, wohin?
Ihre kurze Begegnung mit dem Leibarzt des Kaisers kam ihr wieder in den Sinn. Ein Sarazene, erinnerte sie sich. Ein kluger und ein mutiger Mann, aber fast ein bisschen unheimlich. Seine dunklen Augen hatten sie regelrecht durchbohrt, und sie war sich nicht ganz sicher, ob sie ihn mit ihrer Geschichte, sie sei die Frau eines Tuchmachers und Lorenzo ihr Bruder, überzeugt hatte. Könnte dieser Mann ihnen helfen? Nein, entschied sie im selben Augenblick. Besser, wenn sie niemandem traute.
Neben ihr war Lorenzo in einen unruhigen Schlaf gesunken. Seine Hände zuckten mehrmals wie im Krampf, und er murmelte unverständliche Worte.
Armer Lorenzo, dachte sie. Wie sie selbst hatte er alles verloren. Doch im Gegensatz zu ihr war er schuldlos. Alles, was er tat, geschah aus selbstloser Treue zu ihr. Und was hatte er davon? Er musste jeden Tag aufs Neue um sein Leben fürchten.
Bianca war so müde, dass sich ihr Kopf ganz leer anfühlte. »Ich kann heute Nacht nicht denken«, sagte sie leise. »Aber ich muss eine Entscheidung treffen.«
Sie schloss die Augen und hoffte, dass der Engel, der ihr schon öfter im Traum begegnet war, auch heute erscheinen würde. Doch die Vision von einem himmlischen Wesen blieb aus. Niemand kam ihr zu Hilfe.
Sie schwebte zwischen Wachen und Schlaf. Die tiefe Erschöpfung forderte das Recht auf Ruhe, doch die Sorgen um ihre und Lorenzos Zukunft hinderten sie an der dringend notwendigen Entspannung. Ein kühner Gedanke formte sich in ihrem Hinterkopf, und je mehr die Nacht dem Morgen wich, desto mehr nahm er Klarheit an. Wenn sie in diesem Teil der Welt nicht mehr leben konnte, würde sie eben in einen anderen fliehen müssen. Tausende von Menschen brachen ins Heilige Land auf, Ritter, Pilger, Abenteurer, Händler – und Frauen.
Auf jeden Fall, ging ihr noch durch den Kopf, bevor die Müdigkeit sie dann doch überwältigte, auf jeden Fall brauchten sie eine neue Tarnung. Morgen würden sie ihre zerlumpten Pilgergewänder gegen eine andere Kostümierung tauschen. Sie waren in einer Stadt – also
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