Die Mars-Stadt
den Verlust an
Lebenserfahrung und entgangene menschliche Gesellschaft. Das
heißt, für mindestens die gesamte Bordzeit, eher aber
für einen noch längeren Zeitraum.«
Eon Talgarth musste das Publikum wiederholt zur Ordnung rufen,
ehe der Tumult sich legte.
»Können Sie diese Anschuldigungen beweisen?«,
fragte er.
»Ja«, antwortete Wilde.
Er ging zu seinem Platz und zog den Aktenordner mit Talgarths
Aufzeichnungen aus Tamaras Rucksack hervor. Als er wieder
vortrat, hielt er sie hoch erhoben, dann legte er sie auf den
Tisch.
»Die Beweise«, sagte er, »wurden von einem
gewissen Eon Talgarth gesammelt, sind öffentlich
zugänglich und wurden niemals angezweifelt.«
Es wurde still, nur noch das Summen der Minihelikopter der
Nachrichtensender und der ferne Maschinenlärm jenseits der
Palisaden war zu vernehmen.
Talgarth blätterte in den Akten und schüttelte den
Kopf. »Hinsichtlich der Art und Weise, wie Jonathan Wilde
zu Tode kam, gab es unterschiedliche Angaben«, sagte er.
»Obschon ich der von Ihnen dargelegten Sichtweise zuneige,
gibt es doch abgesehen von David Reid und mutmaßlich Ihnen
selbst keine lebenden Zeugen mehr. Dass diese Sichtweise niemals
bestritten wurde, hat bedauerlicherweise keine Bedeutung für
diesen Fall. Kein Gericht auf diesem Planeten erkennt
Behauptungen als beweiskräftig an, und weder die Weigerung,
sie zu widerlegen, noch das Misslingen einer Widerlegung werden
als Beleg für ihren Wahrheitsgehalt gewertet.«
Er seufzte, als bedauerte er nicht nur die
Unzulänglichkeit der Beweise; vielleicht hatte ihn ja
politische Leidenschaft bewogen, dieses Dossier anzulegen. Er gab
Wilde den Aktenordner zurück.
»Das Gericht kann das nicht als Beweis
akzeptieren«, sagte er. »In Ermangelung weiterer
Beweise oder des Geständnisses eines der
Beschuldigten« – er blickte Reid an, der heftig den
Kopf schüttelte –, »das zu erzwingen ich keine
Mittel habe, sehe ich mich außerstande, die Beschuldigung
weiter zu verhandeln. Sollten Sie Reid als Zeugen aufrufen, kann
er die Aussage verweigern, ohne dass ihm dies zum Nachteil
ausgelegt werden dürfte.«
Reids Rechtsberaterin erhob sich und besprach sich kurz mit
Talgarth, während Wilde sich außer Hörweite begab
und wegsah. Als die Frau wieder Platz genommen hatte, klopfte
Talgarth mit dem Hammer auf den Tisch.
»Die Gegenklage wird abgewiesen«, sagte er,
»ohne dass dies einer Partei zum Nachteil gereichen
würde. Dass Wilde die Beschuldigung erhoben hat, kann weder
als verleumderisch noch als leichtfertig bezeichnet und ihm nicht
zum Vorwurf gemacht werden. Name und Ruf David Reids bleiben ohne
Makel. Die Behauptung, er habe Wilde fahrlässig oder
arglistig getötet, bleibt als das bestehen, was sie vor dem
Vorbringen der Beschuldigung war, nämlich als unbewiesene
historische Spekulation, die zu missachten Reid
freisteht.«
Reid und seine Assistentin lächelten einander an.
»Der Vorwurf jedoch, Reid sei schuldhaft oder nicht
schuldhaft für den Tod von Jonathan Wilde
verantwortlich«, fuhr Talgarth in plötzlich
schärferem Ton fort, »ist wesentlich besser belegt.
Die Tatzeugen sind natürlich nicht anwesend, doch es ist
bekannt, dass einige noch leben und befragt werden
könnten.«
Abermals winkte er Reids Rechtsbeistand zu sich, und nach
kurzer Beratung klopfte er mit dem Hammer auf den Tisch.
»Reid bestreitet nicht seine Verantwortung für
Wildes Tod.« Er streckte Wilde die flache Hand entgegen.
»Sie dürfen fortfahren.«
»Ax?«
Keine Antwort. Ax schaut fern, im Kopf oder mit den Augen oder
was immer er tut. Dee vermag seine autistische, aber hörbare
Tätigkeit keinen Moment länger zu ertragen. Sie fasst
ihn bei der Schulter und schüttelt ihn. Er wacht auf und
blickt sie verwirrt an.
»Wa-was?«
»Ax«, sagt sie geduldig, »würdest du
dieses faszinierende Material bitte auf einen Monitor
schalten, damit ich es ebenfalls sehen kann?«
»Oh. Tut mir Leid, Dee.«
Er löst das Kopfkabel und drückt ein paar Tasten.
Draußen, auf den großen Monitoren, rollen langsam die
Vororte des Fünften Viertels vorbei. Dee beobachtet das
chaotische Getriebe voller Abscheu. Wenn sich selbst
überlassene Maschinen so benehmen, überlegt sie, ist es
kein Wunder, wenn die Menschen ihnen nicht trauen.
Um das Raupenfahrzeug herum, das die breite Straßen
entlangfährt, eilen und schnüffeln Dutzende etwa
dreißig Zentimeter langer Maschinen umher. Sie
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