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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Glasgow in eine trockenere Hitze
zurück, marschierte in Annettes Labor hinein, wo sezierte
Heuschrecken in folienbedeckten flachen Schüsseln aus
schwarzem Wachs festgepinnt waren und mir der Geruch des
verdunstenden Ethanols in die Nase stieg, und ich packte sie und
sagte: »Ich habe einen Job!«
    Neunzehn Jahre später und immer noch der gleiche Job.
Andere Arbeitgeber, ein anderes College, die Schüler noch
jünger und noch unsicherer bezüglich der Gegenwart, von
der Zukunft ganz zu schweigen. Aber wenigstens hatte ich jetzt
eine Nebentätigkeit, die in guten Monaten ebenso viel oder
sogar mehr einbrachte als der Job. Meine Polemiken in obskuren
Mitteilungsblättern und Zeitschriften und später dann
auch in obskuren Internet-Newsgroups hatten mir – durchaus
nach Plan, aber doch zu meinem Erstaunen – einige
Aufmerksamkeit eingebracht. Ein paar Think-Tank-Kommissionen,
ein, zwei Artikel für Hochschuljournale, ein Kapitel in
einem demnächst erscheinenden Wirtschaftslehrbuch für
fortgeschrittene Anfänger… Annette und Eleanor waren
zuversichtlicher als ich, dass ich endlich groß
herauskommen würde – vielleicht taten sie aber auch
bloß so. Bisweilen hatte ich deswegen
Schuldgefühle.
    Vor einer Woche war ich zu Hause an meinem Schreibtisch online
gewesen und hatte geschäftliche Webseiten entworfen, als
Reid mich anrief. Nachdem wir ein paar Höflichkeiten
ausgetauscht hatten, sagte er: »Kommst du zu diesem Science
Fiction Con in Glasgow?«
    »Ja! Ich habe dort einen Stand gemietet.
Weltraumhändler. Du kommst auch?«
    »Glaub nicht«, sagte er voller Bedauern.
»Hab keine Zeit. Aber ich würde dich gern
anschließend treffen, in Edinburgh.«
    »Gute Idee, aber…«
    »Nein, nein, warte. Ich meine kein rein privates
Treffen. Ich möchte dir… einen geschäftlichen
Vorschlag machen. Etwas, das dich bestimmt interessieren
würde.«
    »Oh, also, das ist etwas anderes. Worum geht’s
denn?«
    »Äh… darüber möchte ich im Moment
nicht sprechen. Tut mir Leid, dass ich so zugeknöpft bin,
aber es ist mir ernst, und es könnte sich für dich
lohnen. Wir gehen einfach einen trinken und reden drüber. Du
kannst bei mir schlafen oder im Hotel, wie du willst – ich
übernehme die Kosten…«
    »Nein, das ist nicht nötig…«
    »Doch, mach ich. Du wirst es schon verstehen, wenn wir
uns unterhalten haben, okay?«
    Da ich vermutete, er wolle mir einen Job bei einer
Versicherung anbieten, willigte ich ein. Schuld war wohl die
Hitze.
     
    Reid kam von der Princes Street auf die Brücke
geschlendert; aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, er werde
aus der entgegengesetzten Richtung kommen.
    »Hi, Mann, freut mich, dass du gekommen bist.«
    »Schön dich zu sehen.«
    Er hatte sich das Haar wieder lang wachsen lassen. Er war
salopp, aber edel gekleidet: weiche schwarze Chinos, blaues
Button-down-Hemd, Seidenkrawatte, dunkles Leinenjackett. Ich kam
mir mit meiner Jeans, der Trainingsjacke und dem
Astronautenhaarschnitt ein wenig schäbig vor.
    »Du siehst toll aus.«
    »Danke.« Ich schloss mich Reid an, und wir gingen
Richtung Rock. »Du siehst… gut
aus.«
    Wir mussten beide lachen.
    »Das täuscht«, sagte ich. »Eigentlich
fühl ich mich beschissen. Zu viele Kater in den vergangenen
vier Tagen.«
    »Ach, mit ein paar Bier kommst du schon drüber
weg«, meinte er. »Aber als Erstes… hast du
schon gegessen?«
    Mein Magenknurren gab die Antwort. »Seit Ewigkeiten
nicht mehr«, gestand ich. Wir blieben an einer vierspurigen
Kreuzung stehen. Reid blickte nach rechts und links und hinter
sich.
    »Okay«, sagte er. »Viva Mexico!« Wie
sich herausstellte, war dies ein mexikanisches Restaurant in der
Mitte der Cockburn Street, zu dem man ein paar Stufen
hinuntergehen musste. Es war ruhig darin. Reid nickte dem Ober
zu. »Ein Tisch für drei Personen, bitte.«
    Der Ober geleitete uns zu einem abseits gelegenen Tisch, und
wir nahmen Platz. Reid bestellte drei große Glas Lager.
Während er die Karte studierte, sah ich mich um. Von
braun-weißen Fotografien, die Exekutionen, Beerdigungen,
Hochzeiten und Eisenbahnunglücke darstellten, blickten
Männer mit breitkrempigen Hüten und langen Gewehren auf
mich herab… Ich hielt müßig Ausschau nach
schwer bewaffneten Taufen oder Universitätsabschlussfeiern,
als das Bier gebracht wurde und Reid aufsah.
    »Wie ist der Con gelaufen?«
    »Hervorragend«, antwortete ich. »Hat man mir
jedenfalls gesagt.

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