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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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der
vergrößerten Prostata eine Mikrorobot-Injektion hatte
geben lassen. Inzwischen hatten die Mikrorobots ihre
Fähigkeiten erweitert, und im Zuge eines der typischen
Tauschhandel der Republik stellte das staatliche Gesundheitswesen
den Bürgern diese Fähigkeiten im Austausch gegen ihre
Rentenansprüche zur Verfügung. Dies war eher ein
politischer als ein ökonomischer Deal, doch er wies eine
gewisse elegante Symmetrie auf: Man tauschte das Rentnerdasein
gegen Langlebigkeit und eine gewisse Verjüngung ein, und
anschließend hieß es schuften bis zum Umfallen.
    Unter der alten Regierung wäre es nie dazu gekommen. Es
war riskant. Ein bis zwei Promille der Patienten starben bei der
Behandlung aus bislang ungeklärten Gründen. Es handelte
sich um ein Herzproblem, schwer vorherzusagen. War man betroffen,
wäre man irgendwann sowieso daran gestorben. Sagten
jedenfalls die Medizinfirmen und das Gesundheitswesen.
    Eine Technikerin trat zwischen uns und löste behutsam
unsere Hände.
    »Bereit?«, fragte sie.
    »Ja«, antwortete Annette.
    »Ich kann’s gar nicht mehr erwarten«, sagte
ich mit einem angestrengten Grinsen. »Wer will schon ewig
leben?«
    »Sie schon, Bürger Wilde. Viel
Glück.«
    Jetzt kommt das Nichts, dachte ich.
    Sie drückte einen Schalter und sandte ein
Kurzwellensignal an die Mikrorobots in meinem und in Annettes
Blut.
    Ich fühlte, wie mir das Herz stehen blieb. Das musste so
sein. Die Mikrorobots benötigten eine stabile Plattform, um
in der Nähe des Vagus arbeiten und neurale Wachstumsfaktoren
und geklonte Embryonalnervenzellen über die Blutbarriere ins
Gehirn transportieren zu können.
    Die Farben verblassten, dann erlosch das Licht. Mir schwand
das Bewusstsein, als wäre ich eingeschlafen. Dann setzte
mein Herzschlag mit einem schmerzhaften Stromstoß wieder
ein, und mein Bewusstsein erwachte, stürzte ab,
rekonstruierte sich anhand des Gedächtnisses und setzte
abermals ein. Ich hob erschöpft den Kopf und blickte zu
Annette hinüber, die eben die Augen aufschlug und mich
lächelnd ansah.
    »Wir haben es geschafft«, sagte sie.
    »Wir werden es schaffen«, erwiderte ich.
»Wir werden es auf die Raumschiffe schaffen.«
    Ich versuchte, mich aufzusetzen.
    »Wenn Sie nicht noch eine Stunde liegenbleiben«,
ermahnte mich die Technikerin, »schaffen Sie es nicht mal
bis zur Tür.«
     
    Draußen, im Grüngürtel, unter dem
Treibhaushimmel. Wir bahnten uns einen Weg durch die
Pro-Leben-Demonstranten, die hinter einer Reihe bewaffneter
republikanischer Gardisten »Mörder!« schrien.
Sie meinten das aus unseren eigenen Zellen geklonte
Embryonalgewebe, das wir der Broschüre der Gesellschaft
für den Schutz ungeborenen Lebens zufolge, die mir
irgendeine fehlgeleitete Seele vor die Nase hielt, ermordet
hatten.
    »Verpisst euch!«, schrie ich zurück. »Ihr könnt zur Hölle fahren! Wir werden nicht mal sterben!«
    »Möchten Sie eine Anzeige machen,
Bürger?«, fragte mich einer der Gardisten, ohne sich
umzudrehen.
    »Ist schon gut, Officer«, sagte Annette, fasste
mich beim Ellbogen und zog mich weiter. »Schließlich
haben wir Redefreiheit… und du halt den Mund!«,
setzte sie an mich gewandt hinzu.
    »Schon gut, schon gut.« Ich schritt rasch aus,
innerlich zitternd. Nichts und niemand – weder die
Kommunisten, die Faschisten, noch die Autoritären jeglicher
Couleur – weckten in mir eine vergleichbare Mordswut wie
die Pro-Leben-Demonstranten. Jedes Mal, wenn ich erlebte, dass
sie ihre Rechte ausübten, konnten sie verdammt sicher sein,
dass ich es ihnen nachtat.
     
    Ich hatte mich an das Leben im ›informellen
Sektor‹ gewöhnt: So nannte man den Londoner
Slumgürtel, in dem sich die republikanischen Experimente mit
Lokalverwaltung mit einem Experiment in Anarcho-Kapitalismus
überlagerten, gegen das die Freihandelszonen der
Weltraumbewegung vergleichsweise überreguliert wirkten. Die
ersten, zweiten und folgenden Stockwerke der meisten Gebäude
waren später hinzugekommen. Der organische Anbau ließ
das Fehlen der Kanalisation als weniger katastrophal erscheinen,
was den Gestank der Fäkalientransporter allerdings nicht
minderte. Das schafften bloß deren Auspuffgase. Die
Bevölkerung war eine Mischung aus hier gebürtigen
Randexistenzen und Menschen, die vor den Kriegen in Europa und
Asien geflüchtet waren. Es gab nicht viele Bettler, aber die
wenigen waren eine wahre Plage: Menschen, deren Beschützer
ihre

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