Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
Zimmer offen zu lassen, und als ihre Wachen draußen antraten und sie bemerkte, dass der Prinz wie gewöhnlich auf dem Treppenabsatz stand und mit seinen Kammerherren sprach (früher war er dann zu den Räumen der Prinzessin hinübergegangen, um ihre Hand zu küssen), stürzte sie mit allen Anzeichen von Wahnsinn, der nun, glaube ich, unübersehbar war, zu den Türen, als die Wachen hinausgingen, stieß sie weit auf, und ehe jemand ein Wort sagen oder ihre Damen ihr folgen konnten, stand sie Herzog Viktor gegenüber, der wie immer auf dem Treppenabsatz plauderte, trat zwischen ihn und die Treppe und begann, ihn laut und heftig anzufahren: ‹Beachten Sie bitte, meine Herren›, kreischte sie, ‹dieser Mann ist ein Mörder und Lügner; er stellt ehrbaren Edelleuten Fallen und bringt sie im Gefängnis um! Beachten Sie ferner, dass auch ich im Gefängnis sitze und das gleiche Schicksal fürchten muss; ebenjener Schlächter, der Maxime de Magny getötet hat, könnte mir jederzeit nachts das Messer an die Kehle setzen. Ich appelliere an Sie und alle Könige Europas, meine königlichen Verwandten. Ich verlange, von diesem Tyrannen und Schurken, diesem Lügner und Verräter befreit zu werden! Ich beschwöre Sie alle, als Ehrenmänner, diese Briefe
meinen Verwandten zu bringen und zu sagen, wer sie Ihnen gegeben hat!›
Und damit begann die unselige Dame, Briefe unter der verblüfften Menge zu verstreuen.
‹Niemand soll sich danach bücken!›, rief der Prinz mit Donnerstimme. ‹Madame de Gleim, Sie hätten Ihre Patientin besser beaufsichtigen sollen. Man rufe die Ärzte der Prinzessin; Ihrer Hoheit Gehirn ist unpässlich. Meine Herren, seien Sie so gut und ziehen Sie sich zurück.› Und als die Herren die Stufen hinabgingen, blieb der Prinz auf dem Treppenabsatz stehen und befahl der Wache zornig: ‹Soldat, wenn sie auch nur eine Bewegung macht, stoß mit deiner Hellebarde zu!› Darauf legte der Mann die Spitze seiner Waffe an die Brust der Prinzessin, die Dame fuhr erschrocken zurück und verschwand wieder in ihren Gemächern. ‹Jetzt, Monsieur de Weissenborn›, sagte der Prinz, ‹heben Sie all diese Papiere auf›; und der Prinz verschwand ebenfalls in seinen Gemächern, geleitet von seinen Pagen, und verließ sie erst wieder, als er jeden einzelnen Brief hatte in Flammen aufgehen sehen.
Am nächsten Tag enthielt die ‹Hofgazette› ein von den drei Ärzten unterfertigtes Bulletin, in dem es hieß, Ihre Hoheit die Erbprinzessin
habe unter einer Hirnentzündung gelitten und eine unruhige, störungsreiche Nacht verbracht. Tag für Tag wurden ähnliche Berichte veröffentlicht. Bis auf zwei wurden alle dienstbaren Damen entfernt. Inner- und außerhalb ihrer Zimmer wurden Posten aufgestellt; die Fenster wurden gesichert, sodass durch sie kein Entkommen möglich war, und Sie wissen ja, was zehn Tage später geschehen ist. Die Kirchenglocken läuteten die ganze Nacht, und die Gebete der Gläubigen galten einem Menschen in extremis . 278 Morgens erschien eine ‹Gazette› mit Trauerrand, in der es hieß, die hohe und erhabene Prinzessin Olivia Maria Ferdinanda, Gemahlin Seiner Durchlauchtigsten Hoheit Viktor Louis Emanuel, Erbprinz von X., sei am Abend des 24. Januar 1769 verschieden.
Aber wissen Sie, wie sie gestorben ist, Sir? Auch das ist ein Rätsel. Weissenborn, der Page, war in diese düstere Tragödie verwickelt, und das Geheimnis war so furchtbar, glauben Sie mir, dass ich es erst nach Prinz Viktors Tod enthüllt habe.
Nach dem fatalen esclandre , 279 den die Prinzessin verursacht hatte, schickte der Prinz nach Weissenborn, verpflichtete ihn mit den feierlichsten Eiden zum Stillschweigen (das er erst
viele Jahre später seiner Frau gegenüber brach; und tatsächlich gibt es ja auf der Welt kein Geheimnis, das Frauen nicht in Erfahrung bringen können, wenn sie dies wollen) und sandte ihn aus mit dem folgenden mysteriösen Auftrag. ‹Auf der Kehler Seite des Flusses, Straßburg gegenüber›, sagte Seine Hoheit, ‹lebt ein Mann, dessen Wohnsitz Sie anhand seines Namens leicht ausfindig machen können – Monsieur de Strasbourg. Sie werden sich diskret und ohne jedes Aufsehen zu erregen nach ihm erkundigen; vielleicht sollten Sie lieber zu diesem Zweck nach Straßburg gehen, wo der Mensch recht gut bekannt ist. Nehmen Sie einen Kameraden mit, auf den Sie sich vollkommen verlassen können; denken Sie daran, Ihrer beider Leben hängt von Ihrer Diskretion ab. Sie werden einen Zeitpunkt in Erfahrung bringen,
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