Die Mumie
wenn er sie ihr nicht sagte. Aber plötzlich wurde sie von kräftigen Händen von ihm weggezogen. Einen Moment lang wußte sie nicht, was geschah. Sie schrie und schlug um sich, dann sah sie den blauäugigen Mann vor sich. Wer war das! Sie wußte es, aber es wollte ihr im Moment nicht einfallen. Und doch brach der Name aus ihr heraus: »Ramses!« Ja, das war Ramses, der Blauäugige… Sie lief mit ausgestreckten Armen auf ihn zu.
»Hinaus«, rief er dem anderen zu. »Gehen Sie weg von hier.
Schnell.«
Sein Hals war wie Marmor. Sie konnte ihm das Genick nicht brechen! Aber auch er konnte sie nicht überwältigen, so sehr er es versuchte. Sie merkte, daß Elliott, Lord Rutherford, das Haus verließ und die Tür hinter sich zuschlug. Jetzt war sie allein und kämpfte gegen Ramses, der sich dereinst von ihr abgewandt hatte, der ihr wehgetan hatte. Es spielte keine Rolle, daß sie sich nicht erinnern konnte. Es war wie mit dem Namen. Sie wußte es!
Kämpfend stolperten sie von einem Zimmer ins nächste. Sie konnte ihm ihre rechte Hand gerade lange genug entwinden, um ihn mit den bloßen Knochen zu kratzen, bevor er ihr Handgelenk wieder zu fassen bekam. Sie kämpfte mit aller Kraft gegen ihn und schäumte vor Wut. Dann sah sie seine Hand hochschnellen. Sie versuchte sich zu ducken, aber er erwischte sie und sie fiel aufs Bett. Sie drehte sich schluchzend um und drückte das Gesicht ins Kissen. Sie konnte ihn nicht töten! Sie konnte ihm das Genick nicht brechen!
»Sei verflucht!« brüllte sie, aber nicht in der neuen Sprache, sondern in der alten. »Böser Ramses!« Sie spie es ihm entgegen, während sie dalag, zu ihm aufsah und sich wünschte, sie könnte wie eine Katze hochspringen und ihm die Augen aus-kratzen.
Warum sah er sie so an? Warum weinte er?
»Kleopatra!« flüsterte er.
Einen Augenblick lang war ihr schwindlig. Furchtbare Erinnerungen drängten sich in ihr Bewußtsein und würden die Gegenwart auslöschen, sollte sie ihnen nachgeben. Dunkle, schreckliche Erinnerungen, Erinnerungen an ein Leid, das sie nie wieder erfahren wollte.
Sie richtete sich auf, sah ihn an und rätselte über seinen be-troffenen, verletzten Gesichtsausdruck.
Ein stattliches Mannsbild war er, wunderschön. Haut wie die jungen, fester, sinnlicher Mund. Und die Augen, die großen durchscheinenden blauen Augen. Als sie jetzt aus dem Abgrund emporstieg, sah sie ihn an einem anderen Ort, an einem dunklen Ort. Er hatte sich über sie gebeugt und das uralte ägyptische Gebet gesprochen. Du bist, jetzt und für immer.
»Das hast du mir angetan«, flüsterte sie. Sie hörte das Glas zerbrechen, das Holz splittern, spürte die Steinplatten unter den Füßen. Ihre Arme waren schwarz und verdorrt gewesen!
»Du hast mich hierher gebracht in diese ›modernen Zeiten‹, und als ich die Hände nach dir ausgestreckt habe, bist du weggelaufen!«
Er biß sich auf die Lippen wie ein Knabe. Er zitterte, und Trä-
nen liefen ihm über die Wangen. Sollte sie ihn in seinem Leid bedauern!
»Nein, ich schwöre es«, sagte er im vertrauten Latein. »Andere sind zwischen uns gekommen. Ich hätte dich niemals verlassen.«
Das war eine Lüge. Eine schreckliche Lüge. Sie hatte versucht, vom Diwan aufzustehen. Das Gift der Schlange hatte sie gelähmt. Ramses! hatte sie verzweifelt gerufen. Sie hörte ihre eigene Stimme. Aber er hatte sich nicht vom Fenster weggedreht. Und die Frauen um sie herum hatten ihn angefleht. Ramses!
»Lügner!« zischte sie. »Du hättest es mir geben können! Du hast mich sterben lassen!«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Niemals!«
Aber warte. Sie verwechselte zwei verschiedene entscheidende Ereignisse. Diese Frauen. Sie waren nicht dabei gewesen, als er seine Gebete gesprochen hatte. Sie waren allein gewesen… für immer und ewig. »Ich habe an einem dunklen Ort geschlafen. Und dann bist du gekommen. Und ich habe wieder die Schmerzen gespürt. Schmerzen und Hunger, und ich kannte dich. Ich wußte, wer du warst. Und ich haßte dich!«
»Kleopatra!« Er kam auf sie zu.
»Nein, bleib weg. Ich weiß, was du getan hast! Ich habe es schon vorher gewußt. Du hast mich von den Toten zurückgeholt. Vom Grabe hast du mich auf erstehen lassen. Und dies ist der Beweis dafür, diese Wunden!« Die Worte waren ihr vor schierer Verbitterung fast im Hals stecken geblieben. Dann spürte sie den Schrei kommen. Sie keuchte und konnte ihn nicht zurückhalten.
Erpackte sie und schüttelte sie.
»Laß mich los!« rief sie. Ruhig
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