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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gerne hätte er das alles in Mr. Stratfords Bibliothek gesehen. Aber er würde warten müssen, bis das Britische Museum die Sammlung für sich be-anspruchte und für Lords und gewöhnliche Sterbliche gleichermaßen ausstellte.
    Und er hätte Miss Stratford einziges erzählen können, hätte er Gelegenheit dazu gehabt; und vielleicht hätte der alte Mr. Lawrence ja auch gewollt, daß sie es erfuhr.
    Zum Beispiel, daß Henry Stratford seit einem Jahr nicht mehr hinter seinem Schreibtisch gesessen hatte, aber dennoch ein volles Gehalt und Dividenden bezog und daß Mr. Randolph ihm Schecks auf die Firma ausstellte und hinterher die Bücher frisierte.
    Aber vielleicht würde die junge Frau das alles selbst herausfinden. Das Testament hatte sie zur alleinigen Erbin der Firma ihres Vaters gemacht. Und genau deshalb befand sie sich gerade eben mit Alex Savarell, dem Viscount Summerfield, ihrem hübschen Verlobten, im Sitzungssaal.

    Randolph konnte es nicht ertragen, sie so weinen zu sehen.
    Es war grausam, sie mit Dokumenten zu belästigen, die unterschrieben werden mußten. In ihrer schwarzen Trauerkleidung sah sie noch zerbrechlicher aus, ihr Gesicht war hager und glänzte, als hätte sie Fieber, in ihren Augen leuchtete das seltsame Licht wie damals, als sie ihm eröffnet hatte, daß ihr Vater tot war.
    Die anderen Aufsichtsratsmitglieder saßen mit gesenkten Blik-ken am Tisch. Alex hielt sie zärtlich im Arm. Er sah leicht fassungslos aus, als könnte er den Tod nicht begreifen, aber eigentlich wollte er nur, daß sie nicht leiden mußte. Schlichtes Gemüt. Sie wirkten so fehl am Platze unter diesen Kaufleuten und Geschäftsmännern; der Aristokrat aus dem Elfenbeinturm und seine Erbin.
    Warum müssen wir das durchmachen? Warum können wir nicht allein mit unserer Trauer sein?
    Doch Randolph machte all das nur, weil es sein mußte, obwohl ihm die ganze Sache noch niemals so bedeutungslos erschienen war. Noch niemals war die Liebe zu seinem einzigen Sohn auf so schmerzliche Weise auf die Probe gestellt worden.

    »Ich kann einfach noch keine Entscheidungen treffen, Onkel Randolph«, sagte sie höflich zu ihm.
    »Selbstverständlich nicht, Liebes«, antwortete er. »Das erwartet auch niemand von dir. Wenn du nur diese Entwürfe für Not-standsmittel unterzeichnen und den Rest uns überlassen würdest.«
    »Ich möchte alles durchgehen und mich um alles kümmern«, sagte sie. »Ich bin sicher, Vater hätte das so gewollt. Ich verstehe nicht, wie es bei den Warenhäusern in Indien zu so einer Krise kommen konnte.« Sie verstummte, wollte sich in nichts einmischen, weil sie vielleicht völlig unfähig war, und die Tränen flossen wieder stumm.
    »Überlaß es mir, Julie«, sagte er erschöpft. »Ich kümmere mich seit Jahren um Krisen in Indien.«
    Er schob ihr die Dokumente hin. Unterschreib, bitte unterschreib. Frag jetzt nicht nach Erklärungen. Verschlimmere das Leid nicht noch durch Demütigungen.
    Denn das war das Überraschende; daß er seinen Bruder so sehr vermißte. Wir wissen nicht, was uns unsere Liebsten bedeuten, bis sie von uns genommen werden. Er hatte die ganze Nacht wach gelegen und sich an vieles erinnert… die Tage in Oxford, ihre ersten Reisen nach Ägypten – Randolph, Lawrence und Elliott Savarell. Die Nächte in Kairo. Er war früh aufge-wacht und hatte alte Fotos und Briefe durchgesehen. So erstaunlich lebhafte Erinnerungen.
    Und nun versuchte er ohne Überzeugung oder eigenen Willen, Lawrences Tochter zu betrügen. Er versuchte, zehn Jahre Lügen und Täuschungen zu vertuschen. Lawrence hatte Stratford Shipping zum Erfolg geführt, weil ihm im Grunde genommen überhaupt nichts an Geld lag. Er dachte an Risiken, die Lawrence eingegangen war. Und was hatte Randolph getan, seit er die Leitung der Firma übernommen hatte? Die Zügel gehalten und gestohlen.
    Zu seiner Verblüffung nahm Julie den Federhalter und setzte ihren Namen rasch unter die verschiedenen Dokumente, ohne sie auch nur durchzulesen. Nun, damit war er wieder eine Weile sicher vor ihren unausweichlichen Fragen.
    Es tut mir leid, Lawrence. Es war wie ein stummes Gebet.

    Vielleicht hättest du mich verstanden, wenn du die ganze Geschichte gekannt hättest.
    »In ein paar Tagen, Randolph, möchte ich mich hinsetzen und alles mit dir durchgehen. Ich glaube, das wäre in Vaters Sinn gewesen. Aber ich bin so müde. Es wird wirklich Zeit für mich, nach Hause zu gehen.«
    »Ja, ich bring dich nach Hause«, sagte Alex unverzüglich. Er half

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