Die Mutter
vom Haken und schlich zur Tür. Er sprang hinaus. Im Schein des erlöschenden Feuers suchte er den umliegenden Wald mit den Augen ab und blickte in den Nachthimmel hinauf.
»Irgendwas zu sehen?«, flüsterte Lucy aus dem Inneren des Vans.
»Nein«, flüsterte er zurück.
Er ging einmal ganz um den Van, suchte aber nicht nur die Bäume und den Himmel ab, sondern schaute auch unter den Van. Er sah nur Blätter und Gras, keinen Vampir.
Gus befand sich in der Hocke, als er das Flattern erneut hörte. Er richtete sich auf, die Doppelklingenaxt fest in seiner rechten Hand, und sah zum Himmel hinauf. Und tatsächlich: Über der Lichtung kreiste ein Blutsauger. Seine leistungsstarke Spotlampe lag vorne im Van. Gus dachte kurz darüber nach, sie zu holen, wusste aber, dass der Blutsauger verschwunden sein würde, bevor er zurück war. Der Vampir suchte ohnehin nicht nach Ärger - entweder spielte er nur, oder er hatte heute Nacht schon gegessen. Wäre er auf Blut aus gewesen, hätte Gus bestimmt nicht wie ein verrückter Vogelbeobachter dastehen können, sondern mit jedem Funken Energie in seinem Körper dagegen ankämpfen müssen, dass das Biest sich Lucy schnappte.
Trotzdem hielt Gus die Axt weiter hoch, damit der Blutsauger erkannte, dass er es ernst meinte, und tatsächlich, er flog mit einem letzten Kreischen in die Dunkelheit davon.
Gus ließ die Waffe sinken und atmete lange und tief aus. Ihn kribbelte es am ganzen Körper. Er glaubte nicht, dass der Vampir in den umliegenden Wäldern lebte. Vampire zogen es vor, in Häusern zu wohnen, wo sie ihr Dasein komfortabel und sehr privat fristen und eine normale Fassade aufrechterhalten konnten. Irgendwo in der Nähe musste sein Lager sein. Vampire wagten sich für gewöhnlich nicht allzu weit von ihrem Zuhause fort. Dieser Blutsauger konnte also höchstens eine Stunde Fahrt entfernt wohnen.
»Ich werde dich schon finden«, murmelte Gus und ging zurück zu Lucy.
Sie stand neben der Tür und schaute hinaus. »Und?« »Ich glaube, dass ganz in der Nähe ein Vampir lebt.« Er kletterte wieder in sein Allerheiligstes, hängte die Axt zurück und wandte sich an Lucy: »Sie sind schon sehr lange in dieser Gegend unterwegs. Sie kennen sie also vermutlich besser als ich. Ich möchte, dass Sie sich zu erinnern versuchen: Haben Sie hier mal irgendjemanden getroffen, der Ihnen verdächtig oder seltsam vorkam?«
»Na ja, das grenzt die Auswahl nur auf so ziemlich jeden Menschen ein, dem ich hier begegnet bin.«
»Sie müssen irgendwo in der Nähe ein Versteck haben. Keine Höhle oder irgend so einen Mist, sondern ein Haus oder einen Schuppen. Vermutlich riechen sie auch ziemlich übel, je nachdem, wie viel Zeit sie auf ihre Körperhygiene verwenden; ihr Atem ist auf jeden Fall richtig fies, ungefähr so wie eine Mülldeponie im Hochsommer. Nachts sind sie am aktivsten, tagsüber wirken sie faul. Ich weiß, dass ganz in der Nähe ein Blutsauger haust, und irgendwann würde ich ihn garantiert auch
so finden, aber es wäre toll, wenn Ihnen irgendjemand in der Gegend hier einfiele, auf den diese Beschreibung passt. Diese Hurensöhne muss man aufhalten.«
»Nun...«, sagte Lucy, hielt dann aber inne und kaute auf ihrer Unterlippe. »Da war dieser eine Kerl. Er war sehr seltsam, total blass, und er benahm sich, als ob er was zu verbergen hätte. Sein Mundgeruch stank zum Himmel, und in seinem Haus herrschte ein ziemliches Chaos. Er sagte, er lebe mit seiner Mutter zusammen, aber ich hab sie nie gehört oder gesehen. Er wohnt ungefähr eine Stunde von hier entfernt.«
Gus' Körper war vor Aufregung wie elektrisiert. »Hatte der Typ irgendwelche religiösen Gegenstände im Haus?«
»Nein, nicht, dass ich mich erinnern könnte. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke: Er hat ziemlich viel anti-religiöses Zeug erzählt. Er hat sogar ein Foto meiner Tochter zerrissen, das ich dabei hatte, nur, weil sie ein Kreuz um den Hals trug. Er wurde ziemlich gewalttätig, deshalb hab ich gemacht, dass ich da wegkomme. Außerdem hatte er auch keine Spiegel in der Wohnung hängen, das ist mir damals schon seltsam vorgekommen.«
Gus' Handflächen schwitzten. »Klingt, als könnte er ein Blutsauger sein. Erinnern Sie sich noch, wie man zu seinem Versteck kommt?«
Lucy grinste. Es war ein schmales, blutleeres Lächeln. »Ich erinnere mich, als ob es mein eigenes Haus wäre.« »Gut, kommen Sie.«
Gus sprang aus dem Van. Lucy folgte ihm. Er bat sie, auf dem Beifahrersitz zu warten, während er das
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