Die Nacht des Zorns - Roman
er beinahe Veyrencs Tod verschuldet hätte.
»Wie geht es der Taube?«, fragte Retancourt schlicht, als sie aufstand.
Fünfunddreißig Minuten später verließ Danglard Paris, im Auto des Bruders auf der Rückbank ausgestreckt, in einem Anzug aus billigem Stoff, der ihm an den Ärmeln spannte, und ausgestattet mit einem neuen Mobiltelefon. Sie können schlafen, hatte Bruno gesagt. Danglard schloss die Augen, er fühlte sich, zumindest bis Toulouse, beschützt vom starken und souveränen Arm des Lieutenant Violette Retancourt.
43
»Wie eine Kellerassel?«, wiederholte Adamsberg nun schon zum zweiten Mal.
Er war erst um sieben Uhr abends von der Gendarmerie und danach vom Krankenhaus zurückgekehrt. Veyrenc erwartete ihn am Eingang des Weges zur Herberge, und er berichtete ihm, was er an wesentlichen Ergebnissen mitbrachte. Die Analysen der Techniker aus Lisieux hatten nichts ergeben, der Klapphocker des Mörders war ein gebräuchliches Modell, das alle Angler benutzten, die Armbrust in der Tat die von Herbier, es hatten sich nur seine Fingerabdrücke darauf gefunden, Estalère und Justin waren in die Brigade zurückgefahren, und Léo war schon wieder ein wenig zu Kräften gekommen, blieb aber weiterhin stumm.
»Eine Kellerassel von zwei Zentimetern Länge. Auf dem linken Schulterblatt von Valleray und von Lina.«
»Wie eine Art großes Insekt, so auf den Rücken gemalt?«
»Ich will dich nicht nerven wie Danglard, aber die Assel ist kein Insekt. Sie ist ein Krustentier.«
»Ein Krustentier? Wie eine Krabbe, willst du sagen? Eine Krabbe ohne Wasser?«
»Eine kleine Landkrabbe, genau. Der Beweis, sie hat vierzehn Beine. Insekten haben sechs. Daran kannst du erkennen, dass Spinnen, die acht Beine haben, auch keine Insekten sind.«
»Willst du mich verarschen? Du versuchst mir weiszumachen, dass Spinnen so was wie Landkrabben sind?«
Während Veyrenc Adamsberg die Wege des Wissens erschloss, fragte er sich, warum der Kommissar nicht auf dieAnkündigung reagierte, dass Hippolyte und Lina die unehelichen Kinder von Valleray waren.
»Nein, das sind Arachniden.«
»Das ändert einiges«, meinte Adamsberg, indem er langsam loslief. »Aber was?«
»Das ändert nicht viel an unserem Bild von der Assel. Sie ist ein Krustentier, das man nicht isst, das ist alles. Obwohl man sich fragen kann, was Martin wohl damit anstellen würde.«
»Ich rede von Valleray. Wenn einer so ein Zeichen auf dem Rücken hat und zwei andere Personen haben es auch, sind sie zwangsläufig von derselben Familie, oder?«
»Sicher. Und Danglards Beschreibung war exakt. Größe zwei Zentimeter, Färbung violett, der Körper ein langgezogenes Oval, und so was wie zwei Antennen am Vorderteil.«
»Ein Krustentier eben.«
»Ja. Und wenn du bedenkst, dass Valleray nicht wollte, dass man ihn auszieht, kannst du mit Sicherheit daraus schließen, dass er weiß, dass dieser Fleck ihn verraten kann. Folglich weiß er, dass die beiden Vendermot-Kinder von ihm sind.«
»Aber die wissen es nicht, Louis. Hippo hat mir gesagt, und er war regelrecht grantig in seiner Aufrichtigkeit, das Einzige, was er in seinem Leben bedaure, sei, der Sohn von seinem Scheißkerl von Vater zu sein.«
»Das bedeutet, dass der Graf sich sehr wohl hütet, es ihnen zu sagen. Er hat sich um sie gekümmert, als sie klein waren, er hat ihre Erziehung Léo anvertraut, er hat den jungen Hippo bei sich aufgenommen, als er ihn bedroht wusste, aber er hat seine Kinder nie anerkannt. Lässt sie vielmehr mit ihrer Mutter dahinvegetieren«, schloss Veyrenc hart.
»Angst vor dem Skandal, Sicherung der Erbschaft. Ziemlich mieser Typ also, der Graf von Valleray.«
»Fandest du ihn sympathisch?«
»Sympathisch ist nicht das richtige Wort. Ich fand ihn geradeheraus und sehr entschieden. Auch großzügig.«
»Eher ist er wohl hinterhältig und feige.«
»Oder er hockt auf dem Riff seiner Vorfahren und wagt sich nicht zu bewegen. Wie eine Seeanemone. Nein, sag mir jetzt bitte nicht, was Seeanemonen sind. Mollusken, nehme ich an.«
»Nein, Cnidaria, Quallen.«
»In Ordnung«, räumte Adamsberg ein, »eine Qualle. Bestätige mir bitte nur, dass Hellebaud ein Vogel ist, und ich bin beruhigt.«
»Er ist ein Vogel. Das heißt, er war es. Seit er deinen Schuh für sein natürliches Umfeld hält, sind die Dinge in Bewegung geraten.«
Adamsberg nahm sich eine Zigarette von Veyrenc und setzte seinen langsamen Gang fort.
»Nachdem der Graf die blutjunge Léo geheiratet hatte«, sagte er,
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