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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Zuckerpapierchen ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem Fall.«
    »Hast du sie aufgehoben?«
    »In einem der Fässer im Keller.«
    »Vielleicht finden sich Fingerabdrücke darauf. Es hat wochenlang nicht geregnet.«
    »Aber das ist kein Beweis. Sich auf einen Baumstamm setzen und Zucker fressen ist nicht kriminell.«
    »Dann haben wir Léos drei Worte.«
    »Worte einer Greisin, die unter Schock stand. Und die ich als Einziger gehört habe.«
    »Zusammen mit Danglard.«
    »Der nicht so genau hingehört hat.«
    »Damit kommen wir nie durch«, bestätigte Retancourt. »Da bleibt keine andere Lösung, als ihn auf frischer Tat zu überführen.«
    »Gefährlich«, wiederholte Veyrenc.
    »Darum ist Retancourt hier, Louis. Sie reagiert schneller und verlässlicher. Sie erwischt den Mann noch, wenn er schon zum Sturz ansetzt. Sie hat auch das Seil, für den Notfall.«
    Veyrenc zündete sich eine Zigarette an und schüttelte den Kopf, ohne Unmut erkennen zu lassen. Dass man Retancourts Schlagkraft höher einschätzte als die seine, war etwas so Offensichtliches, dass man darüber nicht diskutierte. Sie hätte es bestimmt auch geschafft, Danglard auf den Bahnsteig zu hieven.
    »Wenn das Ding schiefgeht«, sagte er, »ist der Mann tot, und wir mit.«
    »Es kann nicht schiefgehen«, wandte Retancourt ruhig ein. »Wenn es denn überhaupt dazu kommt.«
    »Es wird dazu kommen«, versicherte Adamsberg. »Der Kerl hat keine Wahl. Und diesen Mann umzubringen, das wird ihn sehr reizen.«
    »Gehen wir einfach mal davon aus«, sagte Retancourt und reichte ihr Glas hin, damit es gefüllt würde.
    »Violette«, sagte Adamsberg sanft, während er gehorchte, »das ist das dritte Glas. Und wir brauchen alle Ihre Kräfte.«
    Retancourt zuckte die Schultern, als hätte der Kommissar etwas sehr Kindisches gesagt, das man am besten kommentarlos überging.

52
    Retancourt war hinter dem linken Flügel des Schuppentors postiert, die beiden Männer rechts. Nichts durfte den Start des Lieutenant hin zum Brunnen aufhalten.
    Adamsberg hob in der Dunkelheit beide Hände mit den ausgestreckten zehn Fingern. Noch zehn Minuten. Veyrenc trat seine Zigarette auf dem Boden aus und drückte sein Auge an einen breiten Spalt im Holz. Der kräftige Lieutenant spannte seine Muskeln in Vorbereitung seines Einsatzes, während Retancourt, an den Türpfosten gelehnt und trotz der fünfzehn Meter Seil, die sie sich um den Leib gewickelt hatte, den Eindruck vollkommener Entspanntheit machte. Angesichts der drei Gläser Wein beunruhigte Adamsberg das ein wenig.
    Hippolyte kam als Erster und setzte sich auf den Brunnenrand, die Hände in den Taschen.
    »Stämmig, der Junge«, murmelte Veyrenc, »und seiner sicher.«
    »Behalt den Taubenschlag im Auge. Von da wird Émeri kommen.«
    Drei Minuten später erschien auch der Capitaine, sehr aufrecht, die Uniformjacke korrekt zugeknöpft, aber mit leicht zögerndem Schritt.
    »Das ist das Problem«, sagte Adamsberg leise. »Er ist ängstlicher.«
    »Es könnte ihm von Vorteil sein.«
    Die beiden Männer begannen miteinander zu reden, aber was sie sagten, war vom Schuppen aus nicht zu verstehen. Sie hielten sich weniger als einen Meter voneinander entfernt,misstrauisch, angriffsbereit. Hippolyte sprach mehr als Émeri, schnell, mit aggressivem Unterton. Adamsberg warf einen besorgten Blick auf Retancourt, die immer noch an der Toreinfassung lehnte und ihre gelassene Haltung um keinen Fingerbreit verändert hatte. Das war nicht unbedingt ein gutes Zeichen, Retancourt war in der Lage, im Stehen zu schlafen wie ein Pferd, ohne zu schwanken.
    Hippolytes Lachen schallte durch die Nacht, hart, böse. Er gab Émeri einen Schlag auf den Rücken, in einer Geste, die nichts Freundschaftliches hatte. Dann beugte er sich über den Brunnenrand, einen Arm ausgestreckt, als wollte er etwas zeigen. Émeri erhob die Stimme, brüllte etwas wie »Dreckskerl« und beugte sich seinerseits hinunter.
    »Achtung«, murmelte Adamsberg.
    Die Bewegung war routinierter und schneller, als er sich vorgestellt hatte – der Arm des Mannes, der unter den Beinen durchgreift und beide zusammen anhebt –, und seine Reaktion langsamer, als er gehofft hatte. Er stürzte mit einer guten Sekunde Verspätung los, mit leichtem Rückstand gegenüber Veyrenc, der seine ganze Masse einsetzte. Retancourt war schon am Brunnen, als er noch drei Meter entfernt war. Mit einer Technik, die sie allein beherrschte, hatte sie Émeri zu Boden geworfen und sich rittlings auf ihn

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