Die Nacht von Shyness
sehr groß. Da müssten wir ungesehen hinübergelangen können.
Der Mond steht hoch am Himmel. Die Szene vor uns wirkt flach, als wäre sie mit Öl auf Leinwand gepinselt. Der quadratische Schuppen. Schatten wie mit Kohle gezeichnet. Weiße Schlaglichter vom Mond.
Geduckt laufen wir los. Mein Rucksack hüpft auf und ab. Unsere Schritte knirschen auf dem Weg und tapsendann durch den Dreck zum Schuppen. Alle anderen Geräusche der Nacht werden verschluckt.
Wir kauern uns hinter den Schuppen. Ich schaue nach Wildgirl. Sie lächelt angespannt zurück. Ich finde, das haben wir gut hingekriegt. Ich hätte nie gedacht, dass sie so ausflippen würde. Meine Arme und Beine prickeln vor Adrenalin. Es ist ein gutes Gefühl. Jetzt werden wir es wirklich tun.
»Bist du bereit?«
Ich berühre Wildgirl an der Schulter. Wir müssen zur Hinterseite von Nummer sieben rennen.
Doch anstatt zu nicken, fasst sie mich am Arm. »Was ist das für ein Geräusch?«
»Was denn?«
»Hör mal.«
Erst ist da nur graue Stille, die zu der grauen Szene vor uns passt, aber dann höre ich es auch: ein leises Schnattern und Rascheln. Der Hauch einer Brise schwebt an uns vorbei und mit ihr ein ganz bestimmter Geruch.
»Ich glaub, es kommt von drinnen.« Ich muss nicht erklären, dass ich das Gebäude meine, an dem wir kauern.
Wildgirl packt meinen Arm fester. Ich zögere, schnuppere die Luft um uns herum. Die Antwort kommt zu mir wie ein Träumer in der Nacht.
»Komm mit«, flüstere ich. Langsam schiebe ich mich vorwärts, sodass Wildgirl ihren Griff lockern muss.
An der Vorderseite des Schuppens befindet sich eine kleine Veranda, und über einer niedrigen Mauer sind zwei Maschendrahttüren. Das Schnattern wird jetzt lauter.Ich spähe über die Mauer durch die Türen, während Wildgirl zögerlich an der Ecke bleibt.
Ich sehe Fellknäuel, die zu zweit oder zu dritt auf niedrigen und höheren Stangen hocken. Ein Ofen an der hinteren Wand glüht in einem schwachen Rot vor sich hin. Die Luft ist erfüllt von dem fauligen Geruch von Exkrementen und Fell.
»Hier ist die Penthouse-Suite!«, sage ich und winke Wildgirl herbei.
Wildgirl kommt zu mir an den Mauervorsprung.
Einige Koboldäffchen blinzeln uns unbeeindruckt an. Die anderen schlafen, einige aneinandergekauert, andere sitzen in den wenigen Ästen. Ich versuche sie zu zählen, aber bei fünfzig gebe ich auf. Wildgirl hält sich an dem Draht fest, ihre Finger schieben sich hindurch.
»Sie sind so winzig. Und so friedlich.«
Von Nahem wirken die Äffchen viel kleiner und zarter. Ich könnte bequem eins auf die Hand nehmen und dann wäre immer noch Platz. Sie sehen nicht so aus, als könnten sie jemandem etwas tun. Ein verschlafenes Äffchen lässt sich auf eine niedrige Stange nah am Gitter plumpsen. Seine Finger haben eine durchscheinende Haut, die Adern darunter sehen aus wie ein Spinnennetz. Die hauchdünnen Ohren schwenken aus wie Satellitenschüsseln.
»Guck mal genau hin«, sage ich. »In ihren Augen spiegelt sich das Licht nicht.«
»Müsste es?«
»Na ja, denk mal an Hunde, Possums oder Katzen. Bei denen leuchten die Augen in der Nacht.«
»Kein Wunder, dass man die Affen im Dunkeln so schlecht sieht.«
Jetzt gehen noch mehr Augen auf, als hätte es sich herumgesprochen, dass glotzende Menschen in der Nähe sind.
»Was glaubst du, wie viele Affen die Kidds haben?«
»Keine Ahnung. Hier sind schon mal jede Menge. Vielleicht setzen sie die Äffchen in Schichten ein und lassen immer ein paar hier, während die anderen ihre Runde machen.«
»Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt.« Wildgirl beobachtet das Koboldäffchen direkt vor uns. Ihr Gesicht hat einen zärtlichen Ausdruck, den ich an ihr bis jetzt nicht wahrgenommen habe. »Ich dachte wohl, sie wären Haustiere. Dass jeder von den Kidds sein eigenes kleines Äffchen hat, das bei ihm auf der Schulter sitzt und in seinem Bett schläft.«
Eine schöne Vorstellung. Aber unrealistisch. »Die Kidds sind manchmal ganz schön fies zu den Tieren. Ich hab schon gesehen, wie sie getreten wurden, durch die Gegend geworfen, angezündet und was weiß ich noch alles«, sage ich. »Aber vielleicht ist es ja keine einseitige Sache. Paul vertritt die Theorie, dass die Koboldäffchen eine eigene Armee bilden, um die Kidds zu stürzen.«
»Paul gefällt mir. Wenn das Ganze hier vorbei ist, können wir uns dann noch mal mit ihm treffen, damit ich alle seine verrückten Theorien hören kann?«
Überrascht blicke ich sie an. Ich
Weitere Kostenlose Bücher