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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wie ich es Wildgirl freundlich beibringen könnte.
    »Perfekt«, sagt Wildgirl.
    »Was?«
    »Die Häuser hier sind nach demselben Plan gebaut wie Plexus-Bauten.«
    Wir kommen an einem Treppenhaus vorbei, darunter ist ein vergitterter Raum mit Fahrrädern. Plexus-Bauten? Ich gucke wohl verständnislos, denn sie sagt: »Hab ich dir doch erzählt. Ich lebe in einem Sozialbau. Dazu gehören acht Gebäude, und sie sind alle genau gleich, innen wie außen. Orphanville muss nach demselben Plan gebaut worden sein, denn ich kenne das hier wie meine Westentasche. Die Häuser auf dieser Seite sind anscheinend vor den anderen gebaut worden.«
    »Bist du dir sicher? Vielleicht sehen sie nur von außen gleich aus.«
    Wildgirl schreitet in ihren Cowboystiefeln voran, als wäre der Gehweg ein Laufsteg. Zwei erleuchtete Fenster im ersten Stock schauen uns an wie ein gelbes Augenpaar. Andere Fenster sind gekippt, um Luft und Geräusche hineinzulassen. Im Gegensatz zu den anderen Häusern wirkt dieses hier bewohnt. Wildgirl bleibt stehen und dreht sich zu mir um. Wenigstens ist sie so schlau, leise zu sprechen.
    »Frag mich, wie viele Stockwerke das Haus hat.«
    »Für so was haben wir jetzt keine Zeit.«
    »Es sind zwölf. Hast du gesehen, dass ich hochgeschaut und sie gezählt hätte?«
    »Okay, okay.« Ich hebe die Hände und ergebe mich.»Aber wieso laufen wir nicht einfach zu Nummer sechs rüber? In wenigen Sekunden sind wir da.«
    »Weil das nicht der Plan ist. Vertrau mir.«
    Ich kann nicht anders. »Klar. Wenn du mir vertraust.«
    Ihre Augen flackern wie aufflammende Streichhölzer.
    »Ach, wollen wir jetzt davon anfangen?«
    , fragt sie.
    Wieder nehme ich ihre Wollhand in meine. Ich könnte ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen und die Todeswunsch-Bemerkung erwähnen, aber ich halte den Mund. Es ist zu schön, dass sie bei mir ist. Wir sollten uns die Wut für später auf bewahren, wenn wir sie brauchen.
    »Jetzt noch nicht. Sag mir, wie wir in Nummer sechs reinkommen.«

zweiundzwanzig
    Wolfboy kann ja nicht wissen, dass der Weg zu Nummer sechs durch Nummer sieben führt. Und in Nummer sieben gelangen wir, indem wir einfach durch den Haupteingang marschieren, als wären wir Limo schlürfende, Lolli lutschende Kidds. Ich will nicht lügen, der tief liegende Eingang sieht aus wie das Tor zur Hölle, doch ich zwinge mich, die Treppe hinunterzugehen.
    Die Glastüren sind von unzähligen Kinderfingern verschmiert. Der Eingangsbereich ist verlassen und es ist dort kein bisschen wärmer als draußen. Grelles Neonlicht spiegelt sich in dem abgewetzten Linoleumboden und den nachgemachten Holzdielen. Die Ausstattung ist anders als in den Plexus-Bauten, aber ich bin mir fast hundertprozentig sicher, dass der Grundriss identisch ist.
    Ich gehe schnurstracks zum Aufzug und drücke den Knopf nach oben. Ich weiß, was als Nächstes zu tun ist, und ich möchte, dass Wolfboy wieder Vertrauen zu mir fasst. Keine hysterischen Anfälle mehr. Die Koboldäffchen frei zu lassen, war vielleicht nicht die allerschlauste Aktion, aber ich hab damit auch bewiesen, dass ich keine Angst mehr habe, das Richtige zu tun. Ich glaube nicht, dass es unsere Chancen verschlechtert hat. Jedenfalls noch nicht.
    Der Aufzug kommt nicht. Ich verschränke die Arme und fummele an den ausgefransten Bündchen meiner Ärmel herum. Ich weiß vielleicht, wo es langgeht, aber ich hab keine Ahnung, was uns dort erwartet. Ich merke, dass Wolfboy wieder nervös ist, also lasse ich das Fummeln. Ich kann es ihm nicht verdenken. Wir sitzen hier wie auf dem Präsentierteller, angestrahlt von fiesem Neonlicht.
    »Was machen wir, wenn uns jemand über den Weg läuft?«
    , fragt Wolfboy. »Die werden sofort wissen, dass wir nicht hierhergehören. Wir müssen uns irgendwas ausdenken. Oder sollen wir erst schießen und dann fragen?«
    Wieder drücke ich den Knopf nach oben und konzentriere mich auf die Nummern der Stockwerke über der Tür des Aufzugs, als könnte ich ihn durch mein Starren dazu bewegen, schneller zu kommen. Na los. Warum höre ich nichts?
    »Wir müssen improvisieren. Ich schlage vor, dass wir nichts überstürzen. Wir versuchen lieber erst mal, uns rauszureden.«
    Endlich kommt der Aufzug herunter. Der Reihe nach leuchten die Nummern der Stockwerke auf: 5, 4, 3, 2, 1.
    »Er war nur im fünften Stock«, sage ich. »Das ist ein gutes Zeichen.«
    Mit einem Rumms bleibt der Aufzug stehen. Wolfboys Stiefel quietschen auf dem Linoleum, als er in Verteidigungshaltung

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