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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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Tochter erschreckt«, sagte der Mann lächelnd.
    »Es ist ein Junge. Ich müßte ihm endlich die Haare schneiden.« Lucy nahm Jo auf den Schoß.
    »Entschuldigen Sie.« Die Augen des Fremden schlossen sich wieder, und er schwankte auf seinem Stuhl.
    Lucy stand auf und setzte Jo auf dem Sofa ab. »Wir müssen den armen
     Mann ins Bett bringen, David.«
    »Noch einen Moment.« David rollte näher an den
     Fremden heran. »Könnte es noch mehr Überlebende geben?«
    Der Mann hob das
     Gesicht. »Ich war allein«, flüsterte er. Er war kaum noch bei Bewußtsein.
    »David – «, begann Lucy.
    »Noch eine Frage: Haben Sie der Küstenwache Ihren
     Kurs mitgeteilt?«
    »Spielt das eine Rolle?« fragte Lucy.
    »Es spielt eine
     Rolle. Wenn er es getan hat, sind vielleicht Männer draußen, die ihr Leben für ihn
     riskieren. Wir können ihnen mitteilen, daß er in Sicherheit ist.«
    Der Mann sagte
     langsam: »Ich . . . habe . . . sie nicht . . . benachrichtigt.«
    »Nun ist’s
     genug.« Lucy kniete sich vor den Mann. »Schaffen Sie’s nach oben?«
    Er nickte
     und stand mühsam auf.
    Lucy legte seinen Arm um ihre Schultern und ging mit ihm
     hinaus. »Ich werde ihn in Jos Bett bringen.«
    Sie nahmen eine Stufe nach der
     anderen und machten nach jeder eine Pause. Als sie oben waren, hatte das Gesicht des Mannes
     das bißchen Farbe, das es am Feuer angenommen hatte, wieder verloren. Lucy führte ihn in
     das kleine Schlafzimmer. Er brach zusammen und fiel auf das Bett.
    Lucy zog mehrere
     Decken über ihn, packte ihn ein und schloß die Tür leise hinter sich.
    Eine Woge
     der Erleichterung überkam Faber. In den letzten Minuten hatte er sich übermenschlich
     anstrengen müssen, um sich zu beherrschen. Er fühlte sich kraftlos, besiegt und
     krank.
    Nachdem ihm die Haustür geöffnet worden war, hatte er zunächst nicht mehr
     gegen seine Erschöpfung ankämpfen können. Gefährlich war es geworden, als die schöne
     Frau begonnen hatte, ihn auszuziehen. Da war ihm die Dose mit dem Film eingefallen, die an
     seine Brust geklebt war. Das hatte seine Lebensgeisterkurzzeitig
     wieder geweckt. Er hatte auch befürchtet, daß man einen Krankenwagen rufen könne, aber
     davon war nicht die Rede gewesen. Vielleicht war die Insel so klein, daß es kein
     Krankenhaus gab. Wenigstens war er nicht auf dem Festland – dort wäre es unmöglich
     gewesen, die Meldung seines Schiffbruches zu verhindern. Aus dem Tenor der Fragen, die der
     Ehemann ihm gestellt hatte, ließ sich jedoch schließen, daß fürs erste keine Mitteilung
     erfolgen würde.
    Faber hatte nicht mehr die Kraft, um sich über weiter in der
     Zukunft liegende Probleme Gedanken zu machen. Im Augenblick schien er jedenfalls sicher zu
     sein, und das war das Wichtigste. Er lag in einem warmen, trockenen und weichen Bett, und
     er lebte noch.
    Er drehte sich um und musterte das Zimmer: Tür, Fenster, Kamin. Sein
     Sicherheitsinstinkt funktionierte automatisch. Die Wände waren blaßrot, als habe das Paar
     sich ein Mädchen gewünscht. Auf dem Boden stand eine Spielzeugeisenbahn, und eine Menge
     Bilderbücher lagen herum. Es war ein sicherer, häuslicher Ort: ein Heim. Er war ein Wolf
     in der Schafherde, aber ein lahmer Wolf.
    Faber schloß die Augen. Trotz seiner
     Erschöpfung mußte er sich dazu zwingen, sich zu entspannen, Muskel für
     Muskel. Allmählich wurde der Kopf ihm leer, und er schlief ein.
    Lucy schmeckte den Haferbrei ab und gab noch eine Prise Salz dazu. Sie
     hatten sich daran gewöhnt, ihn so zu essen, wie Tom ihn machte – auf schottische Art,
     statt mit Zucker. Sie würde nie wieder süßen Haferbrei machen, sogar wenn es wieder
     Zucker im Überschuß und unrationiert geben sollte. Es war merkwürdig, woran man sich
     gewöhnen konnte, wenn einem nichts anderes übrigblieb: an Graubrot, Margarine und
     gesalzenen Haferbrei.
    Sie teilte ihn aus, und die Familie setzte sich zum
     Frühstück. Jo nahm viel Milch, um seinen Brei abzukühlen. David verschlang seit einiger
     Zeit riesige Portionen, ohne dick zu werden.Es lag an der Arbeit im
     Freien. Lucy betrachtete seine Hände. Sie waren grob und braun – die Hände eines
     Mannes, der körperlich arbeitet. Die Hände des Fremden waren anders. Seine Finger waren
     lang, und die Haut war weiß unter dem Schorf und den Prellungen. Er war nicht an die harte
     Arbeit eines Seemanns gewöhnt.
    »Du wirst heute nicht viel machen können«, sagte
     Lucy. »Der Sturm wird sich kaum legen.«
    »Was

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