Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
Denk weiter nach. Fällt dir noch eine dritte Begründung für meine Teilnahmslosigkeit gegenüber Mephisto ein?«
»Nun, daß Euch das Tier am Herzen liegt, habt Ihr bereits zugegeben. Einverständnis mit seiner Gefangenschaft kann also kein Grund für Euer Verhalten sein.«
»Das ist richtig.«
»Dann weiß ich nur noch eine einzige Möglichkeit«, sagte ich. »Es wäre durchaus möglich, daß –«
»Halt!«
Faustus’ Befehl riß mich aus dem feingeschliffenen Bogen meiner Argumentation. Einen Moment lang glaubte ich, er hätte einen erneuten Fehler in meiner Gedankenfolge entdeckt. Dann aber sah ich, daß er stehenblieb. Im selben Augenblick packte er mich schon an der Schulter, riß mich zurück und zog mich mit sich ins Dickicht. Dort fielen wir hinter einem Gebüsch auf die Knie.
Ich öffnete den Mund, um zu fragen, was geschehen sei, doch Faustus brachte mich mit barscher Geste zum Schweigen.
»Dort vorn!« flüsterte er beinahe lautlos und deutete mit dem Zeigefinger durch den Wald.
Hinter den Stämmen erkannte ich das Tal und mit ihm die Hütten des Dorfes. Wir mochten kaum mehr hundert Schritte entfernt sein. Zahlreiche Bäume verstellten uns die Sicht (verstellten mir die Sicht, muß es richtig heißen, denn Faustus hatte längst gesehen, was zwischen den Häusern vor sich ging).
Mein Meister deutete weiter nach rechts, wo der Weg eine Schleife machte, bevor er an unserem Versteck vorüberführte. Kurz hinterm Ortsausgang entdeckte ich ein halbes Dutzend Landsknechte, die vom Dorf hinauf zur Mühle ritten.
Natürlich! schoß es mir durch den Kopf; die Bauern hatten geplaudert. Die Soldaten hatten sie nach uns befragt, und sicher hatten die Männer nichts Eiligeres zu tun gehabt, als von den beiden Mönchen oben in der Mühle zu berichten. Dies wiederum bedeutete, daß das Dorf schon in der Hand des Hexenjägers war.
»Sie müssen direkt hinter uns gewesen sein, ohne daß wir sie oder sie uns bemerkten«, zischte Faustus unbehaglich. Er war es nicht gewohnt, daß er seinen Feinden allein durch Glück entging. »Während wir beim Müller saßen, müssen sie uns überholt haben.«
Alles weitere war offensichtlich: Nachdem Asendorfs Männer im Dorf Erkundigungen eingeholt hatten, ritten einige nun zurück zur Mühle, um dort nach den beiden Mönchen zu suchen. Noch aber konnten sie nicht sicher sein, daß sich Faustus und ich unter deren Kutten verbargen.
»Was nun?« fragte ich leise. Die schreckliche Erkenntnis, wie knapp wir der Gefangennahme entgangen waren, war mir tief in die Knochen gefahren.
Faustus gab mir mit einem Wink zu verstehen, ihm zu folgen. Er schob sich weiter durchs Unterholz, dem gegenüberliegenden Waldrand entgegen. Es dauerte nicht lange, da blickten wir verborgen hinter den äußeren Stämmen ins Tal hinab. Wir befanden uns auf einer felsigen Klippe, von der aus wir beste Sicht auf das Geschehen im tieferliegenden Dorf hatten.
Ein gutes Dutzend Landsknechte lagerte auf dem Dorfplatz, um den herum an die zwanzig, höchstens dreißig Hütten und Häuser standen. Es war eine klägliche Ansiedlung, und die Menschen, die dort lebten, mußten am Rande der Armut vegetieren. Auf der anderen Seite der Ortschaft breiteten sich an einem Hang mehrere Felder aus. Rings um Dorf und Äcker schloß sich der tiefe, dunkle Forst.
Außer den Soldaten befand sich auf dem Dorfplatz ein Großteil der Bewohner, aneinandergerückt zu einem furchtsamen Pulk aus Frauen, Männern und Kindern. Sie wurden nicht bedroht oder gar mit Waffengewalt in Schach gehalten, doch es war allzu ersichtlich, daß die waffenstarrende Truppe sie ängstigte. Landsknechte waren für viele der einfachen Menschen gleichbedeutend mit Plünderung, Schändung und Mord – eine Erfahrung aus zahllosen Kriegen und Scharmützeln, die immer wieder zwischen einzelnen Fürstentümern und Landstrichen entflammten.
Freilich stand dem Anführer der Soldaten der Sinn nach Höherem. Konrad von Asendorf saß im Sattel seines Pferdes, einem prächtigen Hengst, der so schwarz war wie die Gewänder seines Herrn. Er unterhielt sich mit einem bärtigen Mann, offenbar dem Sprecher der Dorfbewohner. Asendorf sah zornig aus. Auf einem Pony an seiner Seite hockte der häßliche Bibelzwerg.
Neben dem Inquisitor stand ein zweiter Reiter in der prunkvollen Kleidung eines Kirchenfürsten. Er trug weite, goldbestickte Gewänder und eine passende Haube auf dem Kopf. Sein Roß war mit einem wertvollen Sattel und glitzerndem Gehänge
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