Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
dachte Micky. Der Bursche ist ganz schön gewieft - und Papa ist ein Idiot! Führt diese Gruben wie ein Sklavenlager und bildet sich dann noch ein, damit ließe sich in der zivilisierten Welt Geld auftreiben ...
    Aber was sollte er, Micky, in dieser Situation tun? Er zermarterte sich das Gehirn. Auf jeden Fall mußte Tonio zum Schweigen gebracht werden. Mit Überredung oder Bestechung war bei ihm nichts zu machen. Micky wurde kalt ums Herz, als ihm klar wurde, daß er diesmal zu rauheren, gefährlicheren Methoden würde greifen müssen.
    Er mimte den Besonnenen. »Darf ich den Artikel mal sehen, bitte?«
    Augusta reichte ihm das Manuskript.
    Das erste, was ihm auffiel, war die Hotelanschrift auf d e m Briefkopf. In einem unbekümmerten Ton, der seinen wahren Gefühlen in keiner Weise entsprach, sagte er: »Was habt ihr denn? Das ist doch überhaupt kein Problem.«
    »Aber du hast den Artikel doch noch gar nicht gelesen!« protestierte Edward.
    »Das erübrigt sich. Ich habe die Adresse gesehen, das genügt.«
    »Und?«
    »Wir wissen jetzt, wo er zu finden ist«, sagte er. »Also können wir uns um ihn kümmern. Ihr könnt diese Sache ruhig mir überlassen.«
     

3. Kapitel
    Mai 1879
     
    Solly liebte es, Maisie beim Anziehen zuzuschauen. Jeden Abend warf sie sich ihren Frisiermantel über, rief ihre Zofen und ließ sich von ihnen das Haar hochstecken und mit Blumen, Federn oder Perlen durchwirken. Dann schickte sie die Mädchen wieder fort und wartete auf ihren Ehemann.
    Heute abend wollten sie ausgehen, wie fast jeden Abend. Während der Londoner Saison blieben sie nur zu Hause, wenn sie selbst einen Empfang gaben. Zwischen Ostern und Ende Juli waren sie beim Abendessen nicht ein einziges Mal allein. Solly kam gegen halb sieben in Smokinghose und weißer Weste und hielt ein Glas Champagner in der Hand. Maisies Haar war für diesen Abend mit gelben Seidenblumen geschmückt. Sie schlüpfte aus ihrem Morgenmantel, drehte vor dem Spiegel für Solly splitterfasernackt eine Pirouette und begann sich anzukleiden.
    Als erstes zog sie sich ein Leinenhemd über, dessen Ausschnitt mit einem Blumenmuster gesäumt war. An den Schultern befanden sich Seidenbändchen, mit denen das Hemd an ihr Kleid gebunden wurde, so daß es unsichtbar blieb. Maisie streifte sich feine weiße Wollstrümpfe über, befestigte sie knapp oberhalb der Knie mit elastischen Strumpfbändern und stieg in ein knielanges, locker sitzendes Damenhöschen aus Baumwollbatist mit Schnürbund und hübscher Borte an den Säumen. Dann schlüpfte sie in ihre Abendschuhe aus gelber Seide.
    Solly nahm Maisies Korsett vom Rahmen, half ihr hinein und schnürte die Bänder auf dem Rücken zu. Die meisten Frauen waren beim Ankleiden auf die Hilfe von ein oder zwei Zofen angewiesen. Solly jedoch, der um nichts auf der Welt auf das Vergnügen des Zusehens verzichten wollte, hatte sich selbst mit den nötigen Handgriffen vertraut gemacht.
    Krinolinen und Turnüren waren aus der Mode gekommen. Um die Schleppe des Kleides zu stützen, trug Maisie statt dessen einen Baumwollpetticoat mit gekräuselter Schleppe und gerüschtem Saum. Der Petticoat wurde auf dem Rücken mit einer Schleife gehalten, die Solly für sie band.
    Nun war sie endlich so weit, daß sie das Kleid anziehen konnte. Es bestand aus gelbweiß gestreiftem Seidentaft. Das lose fallende Oberteil, das ihren großen Brüsten schmeichelte, wurde über der Schulter von einer Schleife zusammengehalten. Auch der Rest des Kleides war locker geschnitten und an der Taille, an den Knien und am Saum gerafft. Es zu bügeln kostete das dafür zuständige Mädchen einen ganzen Tag.
    Maisie setzte sich auf den Boden. Solly hob das Kleid über sie, so daß sie wie in einem Zelt darunter saß. Maisie stand vorsichtig auf, schlüpfte mit Kopf und Armen durch die dafür vorgesehenen Öffnungen und half schließlich Solly dabei, den Faltenwurf in die richtige Ordnung zu bringen.
    Als dies zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, öffnete sie ihre Schmuckschatulle und entnahm ihr ein Halsband aus Diamanten und Smaragden sowie dazu passende Ohrringe, die Solly ihr zum ersten Hochzeitstag geschenkt hatte. Als sie sie anlegte, sagte er: »Wir werden von nun an unseren alten Freund Hugh Pilaster wieder sehr viel öfter zu sehen bekommen.«
    Maisie unterdrückte einen Seufzer. Sollys Arglosigkeit konnte anstrengend sein. Ein normaler, mißtrauischer Ehemann hätte die gegenseitige Anziehung zwischen Maisie und Hugh längst gespürt und wäre

Weitere Kostenlose Bücher