Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
aber könnte die Garnison aus Antiochia einen Ausfall machen und das christliche Lager angreifen.
Gnade uns Gott!
Und Alice mitten in den Kampfhandlungen, Wasser tragend, Pfeile aufsammelnd. Vielleicht griff sie selbst zu Pfeil und Bogen, sie hatte es sich von ihm zeigen lassen an einem einsamen Platz im Gebirge. Alice brächte es fertig, seinen Sohn in Gefahr zu bringen! Nein, das nicht. Dazu liebte sie Kinder zu sehr. Dennoch war sie in Gefahr. Er müsste ihr verbieten zu kämpfen, sich überhaupt im Schlachtfeld aufzuhalten. Er müsste eine hochrangige Frau bitten, Alice, sofern es zu einem Angriff auf das Lager käme, bei sich aufzunehmen. Natürlich müsste er sich vorsichtig ausdrücken. Nur im Moment, so durchnässt und dreckig, wie er war, konnte er unmöglich eine Frau des Hochadels aufsuchen. Er müsste sich vorher umziehen, nur hatte er allmählich keine Kleidung mehr, die sauber war und nicht stank. Alles stank, das ganze Lager stank.
»Merde!« Da hatte jemand am Rande des Lagers seine Fäkalien hinterlassen, ohne sie einzugraben, und er war mitten hinein in diese stinkende Scheiße getreten. Bernhard fluchte, wenn auch lautlos.
Die Dunkelheit war auch im Lager fast vollkommen. Die Pilger hatten die Eingänge ihrer Zelte so dicht wie möglich verschlossen, sie selbst hatten sich vor dem Sturzregen in die Zelte geflüchtet. Nur bisweilen traf er jemanden, der austreten musste, oder eine Frau, die ihren Lebensunterhalt allein mit ihrem Körper verdiente.
Während Bernhard auf sein Zelt zuging, überlegte er, ob er den verschmutzten, stinkenden Schuh vor dem Eingang ausziehen und stehen lassen sollte. Das Risiko, dass er gestohlen würde, war vielleicht durch die Nacht und das entsetzliche Wetter gemildert. Sein Bursche aber lag krank mit Fieber, er müsste den Schuh selber reinigen, und dazu fehlten ihm die Zeit und eigentlich auch die Lust.
Bernhard ließ den Schuh also draußen stehen, klitschnass war er ohnehin, und betrat sein von den Türken erbeutetes Zelt, dessen Schönheit ihn immer wieder überraschte. Auf rotem und violettblauem Grund glänzten beim Schein der Öllampen Halbmonde und Sterne aus Baumwolle und vergoldetem Leder. Die Kettenhemden seiner Zeltgenossen baumelten an den Stöckern, als sei für immer Friede eingekehrt. An einem mit Intarsien verzierten Tischchen saßen auf Lederpolstern die Ritter Achard von Montemerle und der lange Olivier von Schloss Jussey. Bernhard schätzte beide Männer als kühne und rauflustige Kampfgefährten. Sie schauten kaum auf, als Bernhard das Zelt betrat, sondern waren vollends mit ihrem Damespiel beschäftigt, als gäbe es nichts Wichtigeres, keinen Kampf und keinen Krieg, keine Verwundung und keinen Tod.
»Die haben die Ruhe weg«, bemerkte Balduin von Hennegau, der nun, ebenfalls vor Nässe triefend, das Zelt erreicht hatte.
»Dabei werden uns die Türken ganz schön einheizen. Na ja, so schnell lassen wir uns nicht unterkriegen«, meinte er und stellte sich zu Engilrand, der im Hintergrund des Zeltes auf Fellen und Decken lag. Er war der leichtsinnige Lieblingssohn seines Vaters, des Grafen Hugo von St. Paul. Durch seinen Plan hatten sie im Herbst das Antiochia gegenüberliegende Kastell erobert. Nun allerdings war er krank. Durch das stunden- und tagelange Reiten in nassen Kleidern hatte er sich schon auf dem Weg nach Konstantinopel Nierensteine zugezogen, ein Leiden, das durch die anhaltende Kälte unerträglich geworden war. Er müsste sich einer Operation unterziehen, die er allerdings immer wieder hinauszögerte, wenn die Schmerzen etwas nachließen. Zu seinem Bedauern konnte er den Angriff nicht mitreiten, er stellte aber bereitwillig Bernhard sein Schlachtross zur Verfügung.
Bernhard hatte sich schon auf dem Hinweg entschieden, welche der hochrangigen Frauen er aufsuchen wollte, um sie zu bitten, Alice unter ihren Schutz zu nehmen. Sofern die Türken nicht das gesamte Lager überrollten wie in Doryläon, würde das Leben der hochadeligen Frauen besonders geschützt, weil sich ihre Zelte in der Mitte des Lagers befanden. Er entschied sich für Humberge von le Puiset, mit deren Mann Walo er den Angriff in der ersten Linie führen würde. Er schätzte sie als verständnisvoll ein, seitdem er Humberge im Zelt Godvere di Tosnis, Gott habe sie selig, nach der Schlacht von Doryläon angetroffen hatte.
Beklommen war Bernhard dennoch zumute, als er sich dem Zelt der hohen Frau näherte. Es hatte wenigstens aufgehört zu regnen, sodass die
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