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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryrose Wood
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die mit der Liebe spielen.
    Der Name des Mädchens ist Jessamine. Der Junge – er hat einen merkwürdigen Namen! Er huscht am Rande meiner Erinnerung entlang wie eine Libelle an einer Uferböschung, ganz nah an der Oberfläche, und doch sie niemals berührend. Aber es ist ein merkwürdiger Name, da bin ich mir ziemlich sicher.
    Oder vielleicht ist die liebliche Szene auf der Wiese nur eine Phantasterei und die Geschichte des Mädchens namens Jessamine und des hübschen Jünglings, den sie aus den Tiefen ihres unschuldigen Herzens liebt, ist bloß ein Traum, den ich irgendwann einmal hatte – ein Traum, aus dem ich schon vor langer Zeit erwacht bin und den ich nun beinahe völlig vergessen habe.
    Denn das geschieht mit Träumen. Wenn man aufwacht, verblasst die Illusion der Nacht und die harte, kalte Wirklichkeit des Tages fällt auf einen nieder, so schwer, dass jeder Atemzug wehtut.
    Und wie sehr es schmerzt, manchmal! Ein Stechen, das mein Herz entzweireißt … Doch ob Traum oder Erinnerung, das spielt keine Rolle. Jessamine gibt es nicht mehr.
    Und was ist mit Rowan, der Näherin, die niemals lächelte? In meinen Gedanken liegt sie als Leiche, aufgedunsen und bleich, am Grund des Tyne. Ihr nackter Körper ist in Seegras gewickelt. Ihr Haar schaukelt auf der Strömung hin und her. Ihre Augen starren blicklos in das trübe Licht. Ihr junges Fleisch ist blau und kalt, eine willkommene Mahlzeit für die Krebse und Fische.
    Oder nicht? War ich nicht Rowan, eine Zeit lang jedenfalls? Kann sie tot sein, wenn ich lebe? In letzter Zeit ist mein Geist oft benebelt, ein Durcheinander aus Gedanken, die in endlosen Spiralen wandern, sich umeinander drehen und immer weiter hinabsinken. Mit jedem Tag wird die Vergangenheit ein Stück tiefer begraben. Aber ich kann mich immer noch an Ryes warmen Atem an meinem Ohr erinnern und an die Berührung seiner rauen Hände auf meiner Haut.
    Heutzutage empfinde ich kaum noch Mitleid oder ein anderes weiches oder zärtliches Gefühl. Aber Rye dauert mich. Er wird nie wieder einer Frau vertrauen, das weiß ich. Er wird den Rest seines Lebens so verbringen, wie es ihm bestimmt war: als ein Gesetzloser und ein Profitjäger, einsam und allein, bis auf die naiven Mädchen, die er umwirbt, ins Bett zieht und danach davonjagt. Jede neue Eroberung wird ein weiterer sinnloser Racheakt an mir sein, bis er mich irgendwann vergessen hat. Genauso, wie ich mich selbst schon beinahe vergessen habe.
    ***
    Ich heiße jetzt Belladonna. Der Name passt zu mir. Nun, zumindest passt er zu dem Mädchen, das mir aus dem Spiegel entgegenblickt. Meine Haut ist so bleich wie eine Schneewehe, denn ich ertrage das Sonnenlicht nicht und habe überdies kaum noch Appetit. Dank der neuerlichen Anwendung von Indigo und Henna schimmert mein Haar in einem glänzenden Rabenschwarz. In dichten Flechten fällt es wie die Wellen eines mitternächtlichen Ozeans um meine scharfkantigen, blutleeren Wangen.
    Auch meine Augen sind fast schwarz. Meine Pupillen starren vergrößert aus einem dünnen Ring aus Eisblau. Sie sind dunkel und rund und glänzend, wie die tödlichen Beeren, die ich einst hegte und pflegte wie eine Mutter ihr Kind.
    Belladonna. Ein wahrhaft tödlicher Nachtschatten.
    Denk daran, Jessamine, du ziehst eine Horde von Mördern groß …
    Eine Erinnerung? Oder ein Traum? Ein Mann hat das irgendwann einmal zu mir gesagt, vor sehr langer Zeit. Ein strenger, harter Mann. Er hat mich oft gescholten. Ich hatte Angst vor ihm, so viel weiß ich noch.
    War er mein Vater?
    Bei dem Gedanken wird mein Geist leer. Ich weiß nur noch eins: Ich ließ Rye in der Dunkelheit des frühen Morgens zurück, während mich Oleander zur Eile drängte.
    Lauf, Liebchen, lauf
, sprach er zu mir in jener spöttischen Stimme, die fortwährend mein Gehirn heimsucht.
Lauf, auch wenn du nicht weißt, wohin.
    Ich habe gerade genug Geld für die Mahlzeit eines Tages. Warum habe ich nicht mehr genommen?
    Du hättest auf mich hören sollen, als ich dir sagte, du solltest das Mädchen sterben lassen. Jetzt musst du fliehen, bis du vor Hunger und Durst nicht mehr weiterkannst, bis deine Füße bluten, bis der Schnee kommt.
    Ich werde irgendwo eine Zuflucht finden. Irgendjemand hat gewiss Mitleid mit mir …
    Eine Zeit lang, vielleicht. Aber es macht keinen Unterschied. Wohin du auch gehst, es wird überall so sein wie bei diesem Haufen unwissender Hexenjäger. Du wirst gehasst und gefürchtet werden, gejagt, gedemütigt, vertrieben.
    Was soll ich

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