Die Probe (German Edition)
sich auf jede Kleinigkeit. Nur ja keine Mutlosigkeit aufkeimen lassen. Aber wie um alles in der Welt hätte hier auch nur eine Maus überleben können? Eduardo war ausgestiegen. Er zeigte nach vorn in eine kleine Senke.
»Da ist es«, rief er. »Ich sehe die Fundamente. Charlie sprang aus dem Wagen und eilte in großen Sprüngen zur Stelle, an der einst eine Hütte gestanden hatte. Viel mehr als die steinernen Grundmauern und ein Gewirr verkohlter Balken war nicht zu sehen. Sie haben sie weggebracht, sie war gar nie hier , versuchte er sich einzureden, doch sein Herz wusste es besser. Es verkrampfte sich, zwang ihn, sich zu setzen. Ihm wurde übel beim Anblick dieses Elends. Seine Augen wurden feucht beim Gedanken daran, was man unter diesem Schutt finden würde. Der schwarze, stinkende, rauchende Haufen, ein überaus passendes Sinnbild für das Ende seines kühnen Traums. Vor ihm lagen nicht nur die Überreste der Hütte, vor ihm lagen die Trümmer seiner Zukunft. Er schlug die Hände vors Gesicht, wollte nichts mehr sehen, nichts hören, nichts denken. Es war vorbei. Er hatte sie zum zweiten Mal, endgültig verloren.
Er wusste nicht, wie lange er so abwesend auf der Mauer gekauert hatte, als ihn plötzlich lautes Hundegebell in die Gegenwart zurückholte. Weder er noch Eduardo hatten auf Marina geachtet, als sich das gute Tier selbst auf die Suche machte.
Nicht die tote Lauren, lieber Gott, lass es nicht ihre Leiche sein , dachte er verzweifelt, als er benommen in die Richtung stolperte, aus der sich Marina gemeldet hatte. Wieder bellte sie, dann tauchte sie neben einem großen Findling auf, jaulte freudig, als sie die beiden Männer auf sich zukommen sah und verschwand mit dem Schwanz wedelnd hinter dem Felsblock. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er dem Tier folgte. Es hockte mit hängender Zunge neben einem menschlichen Körper, der leichenblass und mit geschlossenen Augen am Fels lehnte.
»Lauren!« Mit einem Satz war er bei ihr und schloss sie behutsam in seine Arme. Er spürte, wie ihr Herz schlug. Sie atmete kaum spürbar, aber sie lebte. Als er sie küsste, schlug sie die Augen auf und lächelte erschöpft.
»Charlie«, hauchte sie tonlos. Er grinste albern und sagte:
»Wir haben deine Schuhe gefunden.«
Moura, Portugal
Während sie dem Hauptkommissar in Moura haarklein schilderte, was geschehen war, durchlebte Lauren die schlimmsten Minuten ihres Lebens nochmals mit einer Intensität, als läge sie noch immer zusammengekrümmt in jenem Dreckloch.
Als der Rauch in ihre Nase stieg, begriff sie schlagartig, was das laute Prasseln und Pfeifen draußen bedeutete. Nicht nur die Hütte brannte, der ganze Wald schien zu brennen, und die Entführer hatten sich kurzerhand aus dem Staub gemacht. Egal, was draußen vor sich ging, sie musste auf jeden Fall schnell hier raus. Die Todesangst verlieh ihr Bärenkräfte. Sie spürte keine Schmerzen mehr, als sie in die letzten Ecken kroch, die sie noch nicht gründlich abgesucht hatte. Sie ignorierte den Holzsplitter unter dem Fingernagel, fuhr weiter sorgfältig und flink jeder Ritze entlang, die sie ertastete. Einen spitzen, scharfkantigen Gegenstand musste sie finden, irgendein noch so primitives Werkzeug, um sich von den Fesseln zu befreien. Die Luft in der Kammer war kaum mehr zu atmen. Verzweifelt fragte sie sich, wie lang die Tür dem Feuer noch standhielte. Sie hatte immer noch nichts gefunden. Ersticken oder verbrennen blieben als einzige Alternativen. Der Wand entlang rappelte sie sich auf. Wenn der Fußboden nichts hergab, fände sie vielleicht etwas auf der Latrinenbank, oder ein größerer Splitter ließe sich aus der Wandverkleidung brechen.
Als sie die Finger krümmte, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Sie hatte einen Stich gespürt. Was hätte sie gegeben, um nur wenigstens ihre Hände sehen zu können. Zitternd vor Aufregung tastete sie die Stelle vorsichtig ab. »Das kann nicht sein«, murmelte sie ungläubig, als sie den spitzen Gegenstand in der Hand hielt. Er war leicht zu erkennen, auch wenn sie nichts sah: ein rostiger Nagel. Ihr Handgelenk hatte das Stück Eisen angezogen wie ein starker Magnet. Sie hatte keine Zeit, eine Erklärung für dieses Wunder zu suchen. Hastig begann sie, das Plastikband mit dem Nagel zu ritzen. Sie musste mehrmals innehalten, die Hände strecken, um Krämpfe zu vermeiden, aber sie gab nicht auf, kratzte so lange, bis ein kleiner Einschnitt entstand. Mit einem Urschrei drückte sie die Arme auseinander, das
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