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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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aufgelöst zu haben. Sie hatte sich den Vormittag freigehalten, um ungestört mit ihm reden zu können, und nun ließ er sie buchstäblich sitzen. An ernsthafte Arbeit war unter diesen Umständen nicht zu denken. Zerstreut und lustlos blätterte sie in den Unterlagen zum Projekt in Portugal. Ein Anruf, war das zuviel verlangt? Die freudige Erwartung schlug allmählich in Ungeduld und zunehmend in Ärger um. Ärger über sich selbst, ihr törichtes Verhalten. Um elf Uhr hielt es sie nicht länger in ihrem Büro. Sie packte die Unterlagen und suchte damit den Kollegen auf, der die Versuchsanlage in Amareleja vorgeschlagen hatte. Die Besprechung würde ihr hoffentlich helfen, sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren.
    Gegen Mittag stand der Entwurf der Machbarkeitsstudie, und sie konnte den Projektantrag für die Bürokraten der Finanzabteilung formulieren. Sie hatte das verpatzte Rendezvous beinahe schon verdrängt, als Renate den Kopf zur Tür hereinstreckte und fragte:
    »War er schon hier?«
    »Wer?« Es dauerte einen Augenblick, bis sie verstand, wen ihre Assistentin meinte. Dann antwortete sie abweisend: »Ach so, Charlie, nein.«
    »Er wird wohl noch bei Daisy sein.«
    »Scheint ja wichtig zu sein«, gab sie spitz zurück. Renate schaute sie forschend an und fragte irritiert:
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Alles bestens, kein Problem, mir geht es blendend.« Alberne Gans , dachte sie, während sie das sagte. Wann immer sie sich aufregte, redete sie zuviel, und diese überflüssigen Wiederholungen waren ein untrügliches Zeichen, dass ihre Nerven blank lagen. Renate hatte sie längst durchschaut, aber sie hielt es offenbar für klüger, das Thema nicht weiter zu vertiefen.
    »Steht dir gut, das Teil«, sagte sie mit einem bewundernden Blick auf ihr rotes Top, das unter dem offenen Labormantel hervorschaute. Die nächste spitze Bemerkung lag Lauren bereits auf der Zunge, als ihr Telefon klingelte.
    »Ja?«, rief sie schroff und ein wenig zu laut in den Hörer, doch sogleich lief ihr Gesicht rot an. »Charlie – entschuldige – ich – ja, klar, ich komme gleich runter«, stammelte sie verlegen. Renate zog sich schmunzelnd zurück. In aller Eile rückte Lauren die Frisur zurecht und zog nach kurzem Zögern den weißen Mantel aus. Zum ersten Mal stellte sie verblüfft fest, dass nirgends in ihrem schönen Eckbüro ein Spiegel vorhanden war, aber zur Not genügten auch die Fenster für einen Kontrollblick. Aufgeregt stürmte sie hinaus und die Treppe hinunter zum Empfang, keine Zeit, auf den Aufzug zu warten. Ihr Ärger war verflogen. Er war da, nur das zählte.
    »Lauren, schön dich ...« Er stockte, als er ihr artig die Hand gab. »Du siehst umwerfend aus.«
    »Vorsicht, ich verstehe das als Kompliment«, lachte sie.
    »Wie geschickt von mir. Aber vielleicht trifft hinreißend noch besser zu, was meinst du?«
    »Kennst du noch viele solcher Wörter?«
    »Nicht annähernd genug.« Sie musterte ihn kopfschüttelnd. Witzig war er schon immer gewesen, aber sie kannte ihn eher als wortkarg, jedenfalls nicht als aufgekratzten Charmeur. Täuschte sie sich, oder knisterte es ein wenig zwischen ihnen? Wenn sie auf ihr Bauchgefühl hörte, war die Antwort eindeutig.
    Da er auch noch nichts gegessen hatte, ging sie mit ihm in die Cafeteria.
    »Da unten muss ganz schön was los gewesen sein, wie wir von Daisy gehört haben«, bemerkte sie zwischen zwei Bissen von ihrem Streuselkuchen. Er nickte ernst und erzählte ihr seine Version der Geschichte.
    »Ich bin froh, dass du dich von Saitou getrennt hast«, schloss er seinen kurzen Bericht.
    »Ich bereue den Schritt nicht, nach allem, was ich jetzt weiß, und die Arbeit hier macht großen Spaß. Ich habe ein gutes Team und spannende Projekte.«
    »Ja, leider.« Sie erschrak:
    »Wieso, was meinst du?«
    »Ach, ich verstehe die gute Daisy durchaus«, winkte er lächelnd ab. »Sie scheint sich hier bei ihrer Freundin wesentlich wohler zu fühlen, als in zweifelhaften Industrieanlagen. Die Idee mit der neuen Firma scheint schon weit fortgeschritten zu sein.«
    »Sehr weit, und wie es aussieht, wärst du nicht der einzige, der eine gute Arbeitskraft verliert. Renate ist dabei, mir auch meinen besten Mann auszuspannen. Wir nennen ihn nur den Häuptling hier.« Er lachte laut auf.
    »Das wird der weißen Squaw gar nicht gefallen.«
    »Im Gegenteil, ich habe kein Problem damit. Schließlich bin ich Teilhaberin der neuen Firma. Ich habe jedes Interesse, dass die Sache

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