Die Prophezeiung
nennen diesen Ort: Männer gefangen im Labyrinth. Doch betreten sie ihn nie aus Angst vor dem Schrecklichsten. Und wenn, dann nur zu religiösen Zeremonien, um Geister zu vertreiben. Denn sie wissen, wer sich den Felsen nähert, kehrt nicht wieder.
Einst war dieser Ort vom Gott Coyote als Wohnstatt für sein Volk errichtet worden. Dieses Volk – Eidechsen, menschenähnliche Wesen, Vögel und andere Kreaturen – war aber nicht zufrieden, was Coyote ihnen geschenkt hatte. Sie versuchten, die Stadt immer weiter zu verschönern. Das erzürnte den Gott Coyote. Eines Tages nahm er alle Farbtöpfe, schüttete sie über sein Volk aus und verwandelte alle Lebewesen.
Noch immer betäubt vom Gift der heiligen Pflanze, erwache ich vom ersten Schrei des Kojoten. Es heißt, er ruft die Toten auf, sich an den Eindringlingen zu rächen. Und sie bemächtigen sich ihrer, bis sie wünschen, nie geboren worden zu sein.
Kapitel 8
Julia hatte sich mit Rose in der Mensa zum Frühstück verabredet, aber Katie lehnte es ab mitzukommen. Sie fühlte sich völlig zerschlagen und allein beim Gedanken an Essen wurde ihr schon übel. Warum hatte Julia ausgerechnet sie aus dem Bett geworfen und ins Computer Department gezerrt, um ihrem Bruder ins Gewissen zu reden? Sie war ja wohl die Letzte, die geeignet war, jemanden zu missionieren.
Sie lief hoch ins Apartment, machte sich einen doppelten Espresso und setzte sich damit auf die Fensterbank der Küche. Das Fenster hier ging nicht auf den See hinaus, sondern zeigte die Wälder des Tals. Die Wolken hingen tief und Katie konnte die Eiszapfen an den Baumwipfeln der dunklen Tannen erkennen. Sie erinnerte sich noch an diesen wunderbaren Augenblick gestern in der Sonne, an dem sie sich so leicht gefühlt hatte, als ob all die Last der vergangenen Monate von ihr abgefallen war.
Jetzt fühlte es sich so an, als ob sie für dieses Glücksgefühl büßen musste.
Demon Days.
Der Song erschien ihr nun wie eine böse Vorahnung.
Ja, die Dämonen waren zurückgekehrt, und zwar mit größerer Macht als jemals zuvor.
Sie trugen die Namen Benjamin Fox, Paul Forster und Dave Yellad.
Und natürlich Sebastien. Ihr Sebastien, der plötzlich aufgewacht war.
Heute würde es in allen Zeitungen stehen. Die Daily News, die New York Times, die Washington Post – alle würden darüber berichten.
Die Sache würde wieder ans Licht gezerrt. Ihr Name fett gedruckt. Und Daddy rastete vermutlich erneut aus, weil seine Umfragewerte wieder fallen würden.
Nein, das von allem tat ihr am wenigsten leid. So war das nun mal an der Börse der Macht und der Eitelkeiten.
Sebastien hatte nach ihr gefragt.
Natürlich hatte er das. Er war ihr Freund. Ihr Vertrauter. Ihr Gefährte. Der einzige Seelenverwandte, den sie je gehabt hatte.
Er wartete auf sie. Sie wusste es.
Warum saß sie dann noch hier herum? Warum packte sie dann nicht und kümmerte sich um den nächsten Flug nach Washington?
Sie hatte sich nie ausgemalt, wie dieser Moment sein würde, aus dem einfachen Grund, weil sie nicht daran geglaubt hatte. Sie war davon überzeugt gewesen, dass Sebastien nie wieder aufwachen würde.
Fühlte sie sich deshalb wie gelähmt? Zu keiner Entscheidung fähig?
Sie griff nach ihrem Handy. Undenkbar, ihn heute zu treffen. Ihre Hände zitterten, als sie versuchte, die SMS zu schreiben. Immer wieder vertippte sie sich.
Ich kann heute nicht nach Fields kommen. Ruf mich nicht an.
Verflucht. Verflucht. Verflucht.
Ihr Repertoire an Flüchen war einfach zu klein. Es gab kein Wort, das ausdrücken konnte, was sie fühlte.
Sebastiens Geist war fast ein Jahr lang irgendwo gewesen und nun in einen Körper zurückgekehrt, der nie mehr derselbe sein würde. Sie hatten ihm vermutlich schon gesagt, dass sein Rückenmark durchtrennt war und er für den Rest seines Lebens gelähmt bleiben würde.
Er brauchte sie jetzt. Sie mehr als alle anderen.
Oder?
Sie stellte sich vor, wie sie in Washington ankommen würde. Würden Sebastiens Eltern sie überhaupt zu ihm lassen? Immerhin hatten sie ihre Mutter informiert, weil Sebastien nach ihr gefragt hatte. Einmal oder immer wieder?
Sie erinnerte sich daran, wie sie vor ihm gestanden und sich von ihm verabschiedet hatte, von dieser kalten, leblosen Hülle, die ihr so fremd erschienen war. Sie hatte sich geirrt, als sie ihn für tot erklärt hatte, hatte ihn einfach aufgegeben und im Stich gelassen und das kam ihr jetzt noch viel schlimmer vor als alles, was sie vorher getan hatte.
Sie hatte
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