Die Psychonauten
geringen Größe nicht über die Schultern der vor ihr gehenden Kuttenträger hinwegschauen. Sie fand auch kaum eine Lücke, durch die sie sah, und sie wußte deshalb nichts von dem neuen Ziel. Statt dessen beschäftigten sich ihre Gedanken mit dem Begriff Prinzessin. Da sie ständig so angesprochen worden war, glaubte sie schon fast selbst daran, eine Prinzessin zu sein.
Aber das konnte nicht stimmen. Ihre Eltern hatten zwar zu den begüterten Bewohnern des Landes gehört, aber adelig waren sie deshalb noch lange nicht gewesen.
Wieso Prinzessin?
Ihre Gedanken stockten, als die beiden Kutten träger vor ihr plötzlich stehenblieben. Auch Fatima ging nicht weiter und hatte den Eindruck bekommen, daß sich in dieser Gegend das Licht veränderte. Überhaupt war die Stimmung eine andere geworden. Irgendwie feierlicher. Wie vor einem großen Ereignis.
Schon sehr bald schwand bei Fatima das Gefühl. Dieses große Ereignis, an das sie vorhin gedacht hatte, hing unmittelbar mit ihr zusammen. Sie war der Mittelpunkt, man wollte etwas von ihr, man setzte sie als Wegbereiterin ein.
Die beiden vorderen Kuttenträger traten zur Seite, so daß Fatima jetzt nach vorn schauen konnte.
Sie sah, schloß die Augen, da sie es kaum glauben wollte, schaute wieder hin, aber das Bild blieb.
Eine Tür oder ein Tor, das das Ende des Ganges markierte, war weit geölinet worden. Fatimas Blick fiel in einen hallenartigen Raum, der sich nicht nur nach oben hin verengte, sondern dabei noch spitz zulief. Wie bei einer Pyramide.
Es war eine Pyramide!
Sie hielt den Atem an. Als Ägypterin wußte sie, daß die Pyramiden die Gräber der Pharaonen gewesen waren. Gewaltige Steinbauten, in denen die Verstorbenen zur letzten Ruhe gebettet worden waren. Sollte auch ihr das Schicksal widerfahren? Hatte man für sie dieses Grab ausgesucht?
»Nein!« flüsterte sie. »Ich will nicht…« Sie ging zurück, aber da waren Hände, die sie hielten und ziemlich hart gegen ihren Rücken drückten.
»Du mußt hinein…«
Die Hände schoben das Mädchen vor. Fatima ging mit zögernden Schritten. Ihr Sichtfeld verbesserte sich von Sekunde zu Sekunde. Sie konnte fast den gesamten Pyramidenboden überblicken und auch die Kuttenträger, die einen Halbkreis gebildet hatten. Das Licht in dem Bauwerk hatte ebenfalls eine graue Farbe, und die Musik, jetzt leiser geworden, erinnerte sie an Sphärenklänge. Welch eine Atmosphäre!
Feierlich und bedrückend. Eine Stimmung wie vor langer, langer Zeit, als Ägypten in der Hochblüte stand.
Die Gesichter der Kuttenträger blieben ausdruckslos. Vielleicht lag es auch am Licht, daß keine Konturen hervortreten konnten. Fatima fürchtete sich davor, die Pyramide zu betreten. Es war der Raum, der für sie zum Grab werden sollte, das spürte sie, aber man ließ ihr keine Wahl.
Wieder drückten die Hände gegen ihren Rücken. Mit weichen Knien schritt das Mädchen in die Pyramide hinein.
Sofort steigerte sich die Musik. Gleichzeitig begann der Gesang. Die Psychonauten schauten sie an, als würde eine Göttin vor ihnen erscheinen. Fatima hatte das Gefühl, hier völlig falsch zu sein. Verlegen strich sie mit den Handflächen über die dünne Seide ihres Umhangs. Die Mundwinkel zuckten, sie zwinkerte mit den Augen und schielte danach in die Höhe, wo die grauen Mauern von drei Seiten zu einer Spitze zusammenliefen. Erst jetzt, wo auch sie in der Pyramide stand, erkannte sie vor dem Halbkreis der Psychonauten ein Zeichen auf dem grauen Boden. Es war ebenfalls ein Dreieck, leicht farbig angehaucht, zwischen türkis und grün schimmernd.
Über die Bedeutung wußte sie nicht Bescheid. Raten brachte nichts. Sie mußte abwarten.
Der Gesang verlor sich schließlich in der Weite der Pyramide. Nur noch die Musik war zu hören. Ein ferner Melodienreigen, wie aus einer anderen Welt stammend und dabei Raum und Zeit überwindend. Auch die Musik verstummte.
Stille trat ein!
Drei Gestalten lösten sich aus dem Halbkreis und gingen dorthin, wo sich die Umrisse des Dreiecks abzeichneten. Sie stellten sich jeweils an den bestimmten Ecken auf, hoben die Arme, legten über den Köpfen die Handflächen zusammen und neigten sich dann einander zu. Noch während ihrer Bewegung begannen sie damit, Gebete oder Beschwörungsformeln zu sprechen. Fatima konnte es nicht unterscheiden, weil die Worte zu murmelnd über die Lippen drangen. Doch sie hatten ihre Bedeutung. Urplötzlich nahm die Farbe der Striche auf dem Boden an Dichte zu. Sie leuchteten
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