Die Rache-Agentur
Zeitpunkt für eine Mutter, ihre Kinder abzuschieben? Allerdings gab das Georgie die Chance aufzutrumpfen, wie sie sich eingestand. Sie holte tief Luft.«Keine Sorge, Schatz. Natürlich können die Jungs bei uns bleiben.»
Sie meinte fast sehen zu können, wie sich Eds Stirnfalten glätteten, als er erleichtert aufseufzte. «Liebling, du bist wirklich die Allerbeste. Ich mache es wieder gut, versprochen. Du schreibst mir einfach eine Einkaufsliste, und ich besorge alles, was wir brauchen.»
Georgie lächelte schief, als er weitersprach. Na, klar. Letztes Mal endete es damit, dass sie bei Sainsbury’s stand, um einen lächerlich großen Berg von Dingen zu besorgen, die Ed vergessen hatte. Doch sie erledigte die Einkäufe ohnehin lieber allein, als sich von Ed begleiten zu lassen. Er würde nur wieder jede Menge Rollmopsdosen, gefüllte Oliven in allen Geschmacksrichtungen und sündhaft teuren Rotwein in den Einkaufswagen stapeln. Guter Geschmack war eben teuer. Sie hauchte ihm einen Kuss durch den Telefonhörer zu, legte auf und begann, die Einkaufsliste zu schreiben.
Kapitel 5
Im Januar wurde die Stadt von einer trägen, grauen Kälte beherrscht, die sie nicht loslassen zu wollen schien. Wohin Flick auch ging, sie traf nur auf düster dreinblickende Menschen, die genug vom Winter hatten und es kaum erwarten konnten, bis die Krokusse als erste Frühlingsboten in den öffentlichen Parks zu blühen begannen. In der Agentur gab es mehr denn je zu tun. Pflanzen mussten gegossen und Katzen gefüttert werden, während Herrchen und Frauchen zum Skifahren in den französischen Alpen waren oder zu den wenigen Glücklichen gehörten, die sich einen Trip in die Karibik leisten konnten.
Flick, die den Fernseher ausschaltete, sobald Werbung für Urlaubsreisen kam, versuchte, den gebieterischen Unterton der Arbeitsanweisungen zu ignorieren, die sie in jedem der von ihnen betreuten Haushalte vorfand. Der einzigartige Tonfall, den die Briten an den Tag legen, wenn sie mit den niederen Ständen – ihren Bediensteten – sprechen, schien ihnen angeboren zu sein. Kein Wunder, dass wir eine Kolonialmacht waren, dachte Flick. Die einzige Unterbrechung im konstanten Strom des Alltags war die erschütternde Kündigung zweier ihrer zuverlässigsten Reinigungskräfte gewesen, die von einem Putzunternehmen in Streatham abgeworben worden waren. Gefolgt von Joannas Ankündigung am Freitag in der Mittagspause, sie müsse sich am Montag einer kleinen Krampfader-OP unterziehen.
«Ich werde ein paar Tage nicht kommen können.» Die Nachricht kam so kurzfristig, dass Georgie Flick einen strengen Blick zuwerfen musste, als sie sich darüber beschwerte,dass Joanna sie im Stich ließ. «Ach, du Arme. Das muss ja schrecklich sein. Ich befürchte, ich werde mich auch irgendwann damit herumplagen müssen. Meine Mutter leidet unter fürchterlichen Krampfadern, und die sind ja erblich.»
Flick begann, einen Plan zu entwerfen, wie Georgie und sie den Ausfall Joannas und der beiden Reinigungskräfte überbrücken konnten. Später am Nachmittag saß sie im Wagen auf dem Weg zu einer Kundin und drehte kräftig die Heizung auf, um die Kälte zu vertreiben, die durch sämtliche Kleidungsschichten zu dringen schien. Am Wochenende wurde es sogar noch kälter, und am Sonntagabend fühlte sich Flick steif und hatte Gliederschmerzen. Sie hatte die Heizung in ihrer Wohnung voll aufgedreht, sich in einem großen Fleece-Pulli und einer Pyjamahose auf dem Sofa eingeigelt und bewegte sich nur von dort weg, um eine weitere Paracetamol einzuwerfen oder eine Tasse Tee aufzubrühen. Per SMS hatte sie versucht, ein paar mitfühlende Worte von John zu erhaschen, doch er hatte nach ein paar Stunden nur mit «so ein Pech» geantwortet. Flick warf das Handy auf den Stuhl. Als sie ihn das letzte Mal vor Weihnachten gesehen hatte, war er kühler gewesen, als sie sich jetzt fühlte. Vielleicht hatte ihn sein Frauchen mit gefülltem Truthahn verwöhnt, und die rosigen Wangen seiner Kinderlein, als sie sich um den glitzernden Weihnachtsbaum scharten, hatten ihm gezeigt, auf welchen Abwegen er sich befand. Flick stöhnte auf, zog sich die Decke über den Kopf und verfiel in noch tieferes Selbstmitleid.
Am Montagmorgen war sie sich nicht mehr ganz sicher, ob sie noch am Leben war oder schon unter den Toten weilte. Sie wollte gerade zum Hörer greifen, um sich bei Georgie krankzumelden und danach den Bestatter zu informieren, als ihr einfiel, dass Joanna nicht da sein würde.
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