Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
ich hätten erkennen müssen, wie sehr ihr Geist durch William de Thorignys Folter zerrüttet war, machte er sich Vorwürfe.
»Simon!«, hörte er Ann rufen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie in den Garten gekommen war. »Wie schön, Euch zu sehen! Habt Ihr meine Nachricht erhalten? Habt Ihr Adela besucht? Wie geht es ihr und Robin? Warum habt Ihr so lange nichts von Euch hören lassen?«, sprudelte sie hervor, während sie sich neben ihn setzte.
»Ich habe Adela gefunden«, begann Simon unsicher. Wie konnte er Ann nur die schlimmen Nachrichten möglichst schonend übermitteln?
Ann musterte ihn und rückte unwillkürlich ein Stück von ihm weg, als müsste sie sich vor ihm schützen. »Aber … Sie ist doch nicht etwa tot?«, schrie sie leise auf.
Simon schluckte. »Adela nahm sich vor einigen Wochen das Leben.«
»Nein …« Ann starrte ihn an, als wäre er ein bedrohlicher Dämon, und schüttelte abwehrend den Kopf. »Nein, das würde Adela niemals tun. Nein …«
Simon berichtete ihr knapp, dass William de Thorigny Adela entführt, wochenlang gefangen gehalten und grausam gefoltert hatte. Nachdem er geendet hatte, saß Ann nur stumm da und blickte auf ihre im Schoß ineinander verkrampften Hände. Es kam Simon fast wie eine Erlösung vor, als sie schließlich leise und hoffnungslos zu weinen begann. Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Zu seiner Verwunderung wehrte sie ihn nicht ab, sondern schmiegte ihren Kopf an seine Brust.
Erst nach einer ganzen Weile richtete sie sich auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Wir müssen es Luce sagen«, schluchzte sie. »Und Guy ist im letzten Winter eingegangen …« Sie hielt inne und presste die Hand gegen den Mund. »O Gott, was rede ich da …«
»Nein, ich verstehe schon, was Ihr damit meint.« Simon ließ sie vorsichtig los.
»Würdet Ihr es Luce sagen?« Wieder schluchzte Ann heftig. »Ich bringe es einfach nicht fertig …«
Simon nickte. »Ja, ich suche ihn.«
*
Beim abendlichen Füttern hatte Luce Simons Pferd im Stall entdeckt. Er hatte Simon schon lange vermisst und war voller Freude zu dem Klostergarten gerannt. Denn er war überzeugt, dass er den väterlichen Freund dort bestimmt antreffen würde. Tatsächlich sah er ihn zusammen mit Ann auf der Bank vor der Hütte sitzen. Aber etwas an der Haltung der beiden und am Klang von Simons Stimme irritierte ihn. Dann, als er näher kam, hörte Luce Simon den Namen »William de Thorigny« sagen. Er begriff, dass etwas Schlimmes vorgefallen sein musste und versteckte sich hinter einem Strauch. Dort belauschte er, was dieser Mann aufs Neue seiner Mutter angetan hatte und dass sie sich daraufhin das Leben genommen hatte.
Luce wusste, dass die Äbtissin des Klosters, die er gelegentlich von Weitem sah und die aber ansonsten so gut wie keine Rolle in seinem Leben spielte, eine Verwandte William de Thorignys war. Jenen schrecklichen Überfall auf das Gut hatte er sorgfältig in sich verschlossen. Tagsüber dachte er so gut wie nie daran. Nur manchmal hörte er nachts seine Mutter in seinen Träumen schreien.
Nun aber suchte ihn die Erinnerung mit aller Macht heim. Er sah, wie William de Thorigny auf seiner Mutter kniete und sie quälte, sah ihr vor Schmerzen verzerrtes Gesicht. Er hörte ihre Schreie und roch den Rauch der brennenden Gebäude.
Luce presste die Hände auf die Ohren, um Simons Stimme nicht mehr hören zu müssen. Dann rannte er davon, zur Scheune des Klosters, wo er sich im Heu verkroch. Irgendwann spürte er, wie sich jemand neben ihn setzte und die trockenen Grashalme wegschob. Er blinzelte. Im Sternenlicht, das durch die Luke fiel, konnte er Simons Silhouette erkennen.
»Du hast gehört, was ich deiner Tante über deine Mutter erzählt habe, nicht wahr?«, fragte Simon.
Luce konnte nicht antworten. Er brachte nur ein Nicken zustande. Aber Simon schien es zu bemerken, denn er seufzte. Luce rückte näher an ihn heran. Er war froh, dass Simon nicht versuchte, ihn zu trösten, wie es Ann bestimmt getan hätte, sondern einfach nur bei ihm war. Nach einer Weile holte Simon eine Flöte aus seinem Bündel und begann, eine Abfolge von Tönen darauf zu spielen. Sie waren dunkel und lang gezogen und klagend und hüllten Luce ein, bis sich schließlich der Schlaf über ihn senkte.
*
Während der Komplet hatte Ann innerlich gegen Gott gewütet. Wie hatte Er es nur zulassen können, dass Adela wieder in William de Thorignys Gewalt geraten war und dass sie die
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