Die Rache der Kinder
drückte sie an sich, und ein paar Augenblicke lang verdrängte allein die Vertrautheit dieser Umarmung einen Teil des Schreckens.
Dann löste er sich wieder von ihr und hielt sie auf Armeslänge von sich.
»Ich muss wissen, was hier los ist, Kate«, sagte er. »Caisléan ist abgeriegelt, und …«
»Es ist ein Tatort«, schluchzte Kate, Tränen in den Augen. »Deshalb bin ich hier.« Sie wischte sich die Augen mit dem Handrücken ab. »Ich dachte schon, sie würden dich nicht zu mir lassen …«
»Als wenn die mich hätten aufhalten können«, erwiderte Rob.
»Gut«, sagte Kate.
53. Ralph
Ralphs Isolation war größer denn je.
Sie hatte den Eindruck, als würde alles nur noch in ihrer Einbildung existieren.
Die drei, wie sie gemeinsam und in schweigender Trauer die Scheune verließen, die Overalls und alle Beweismittel entsorgten und sich dann an verschiedenen Punkten voneinander trennten – so war stets der Plan gewesen.
Nur dass es einen Halt weniger gab als geplant.
Dann nach Hause. Roger und Piggy in ihre Wohnungen nach Reading und Swindon. Jack zu seiner leidenden Frau und den Kindern nach Newbury.
Simons Wohnung blieb leer.
Ralph fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis ihre Leiche identifiziert worden war.
Wie lange würde es dauern, bis Simons Kollegen in der Schule sich wegen ihres Fehlens sorgten? Wie lange würde es dauern, bis eine vermisste Aushilfslehrerin aus Oxford mit einem Mord in einer einsamen umgebauten Scheune in den Berkshire Downs in Verbindung gebracht wurde?
Ralph fragte sich, ob man in der Pathologie wohl irgendwelche pränatalen Narben finden würde, zugefügt von einer verzweifelten jungen Mutter, und sie fragte sich, ob Simons alte Krankenhausakten noch existierten und ob die Computer imstande waren, das eine mit dem anderen zu verbinden. Und wenn dem so war – würde das irgendwie die polizeiliche Untersuchung in Bezug auf den Mord an Laurie Moon beeinflussen?
Bei ihrem letzten, traurigen Gespräch waren sie übereingekommen, dass sie in absehbarer Zukunft keinerlei Kontakt zueinander haben dürften.
So war es für sie alle am sichersten.
Ralph schrieb in ihr Tagebuch:
Das Spiel ist erst einmal vorbei. Nun können wir nur noch aus der Ferne beobachten, wie andere Spieler unseren Ball aufnehmen und damit loslaufen. Uns bleibt nur das Warten.
Ich wünsche mir mehr denn je, bei meinen Kindern zu sein, sie zu trösten und mit ihnen zu trauern.
Keiner von uns hat es ausgesprochen, aber wir wissen es alle: Wir haben unser letztes Spiel gespielt.
54. Kate
Rob hatte Kate an jenem Tag ins Haus nach Oxford gebracht und war geblieben.
Allerdings zahlte er noch immer Miete für die Wohnung in Coley Hill, denn beide waren übereingekommen, dass der furchtbare Schock einer Gefangenschaft und eines Mordes nicht gerade die beste Grundlage für eine Versöhnung und langfristiges Glück waren.
Die Polizei war noch nicht mit Kate fertig und lud sie immer wieder zum Verhör. Der Stress, in einem Augenblick als Opfer und im nächsten als Verdächtige behandelt zu werden, nahm sie immer mehr mit. Laurie Moon und Simon waren ständig in ihren Gedanken und jeder Versuch hoffnungslos, ihre Rolle beim Tod der beiden Frauen zu leugnen. Die tote Terroristin lag fast genauso schwer auf Kates Gewissen wie Laurie, egal, wie irrational das auch sein mochte.
»Etwas Furchtbares drohte zu geschehen«, hatte Rob fast genauso oft gesagt wie ihre Eltern. »Du musstest etwas tun. Du musstest kämpfen.«
»Das weiß ich«, hatte Kate immer wieder erwidert.
Nur dass das, was sie getan hatte, mit Simons Tod geendet hatte. Und Jack hatte gezögert, Laurie umzubringen, bis Piggy ihm gesagt hatte, dass Simon tot sei.
»Das bedeutet, wenn ich Simon nicht gestoßen hätte, würde Laurie vielleicht noch leben.«
»So kannst du doch nicht denken«, hatte Rob gesagt.
»So darfst du nicht denken.« Ihr Vater.
Ihre Mutter hatte das nicht gesagt, und dafür war Kate ihr dankbar.
»Wenn du so empfindest«, hatte Bel vergangene Woche erklärt, »ist es vermutlich besser, es auszusprechen, als dich davon auffressen zu lassen.«
»Aber Kate hat absolut keinen Grund, auch nur das kleinste bisschen Schuld auf sich zu nehmen«, hatte Michael leidenschaftlich gesagt. »Es ist doch vollkommen klar, dass sie und Laurie jetzt tot sein könnten, wenn sie nicht gekämpft hätte.«
»Nein«, hatte Kate erwidert. »Das war nicht das Ziel des Spiels.«
Das war der Augenblick gewesen, da sie das Flackern in
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