Die Rache der Kinder
den Augen ihres Vaters gesehen hatte.
Ein Flackern des Zweifels oder zumindest der Verwirrung.
Kate hatte es auch früher schon in seinen Augen gesehen, wenn sie von dem Spiel gesprochen hatte, wie auch in Robs Augen – interessanterweise jedoch nicht in den Augen Bels. Von ihrer oftmals so egoistischen Mutter hatte Kate nur bedingungslose Unterstützung erfahren.
So wie zur Zeit ihrer Fehlgeburt.
»Mom ist fantastisch«, hatte Kate kurz nach dem Wochenende in Caisléan zu Rob gesagt.
»Sie vergöttert dich«, erwiderte er schlicht. »Sie könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren.«
»Aber sie ist so ruhig«, sagte Kate.
»Fordere es nicht heraus«, entgegnete Rob. »Freu dich einfach darüber.«
Sie waren beide ein wenig verwirrt, was ihre Versöhnung betraf. Sie wussten, dass sie auch vorher schon kurz davor gestanden hatten, vor all den Schrecken; aber da hatten sie sich noch gestritten, und die Trennung war mehr als schmerzhaft gewesen. Kate erinnerte sich noch allzu deutlich daran, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte zu vergessen, dass Robs Einstellung zu ihr sich so verhärtet hatte. Nun waren seine Augen zwar sanft, doch die Tatsache blieb bestehen, dass sie nur wieder zusammen waren, weil Kate knapp dem Tod entronnen war und Hilfe brauchte.
Und weil Rob sie liebte. Und sie ihn.
Doch das war sicherlich auch kein besserer Grund.
Sie alle sprachen nur mit Vornamen von Laurie, als hätten sie sie gekannt.
Und tatsächlich wussten sie inzwischen ein bisschen mehr.
Laurie war binnen vierundzwanzig Stunden von ihrem Vater identifiziert worden, nachdem das Rudolf Mann House ihre Eltern von ihrem Nichterscheinen informiert und sie noch am selben Nachmittag eine Vermisstenanzeige aufgegeben hatten.
Montagmorgen stand die Geschichte dann landesweit in der Presse; lokale Fernseh- und Radiosender hatten schon vorher darüber berichtet. Bilder von Caisléan, umgeben von Absperrband, waren zu sehen sowie Fotos von Kate – einschließlich eines Bildes aus den Flitterwochen mit Rob in Venedig, von dem niemand wusste, wie die Reporter es in die Finger bekommen hatten – und von Laurie, Michele und Peter Moon und ihrem kleinen Enkel Sam. Lauries Nachbarnwurden zitiert. Alle zeigten sich schockiert und ungläubig und erklärten, was für eine freundliche, ruhige und talentierte junge Frau sie gewesen sei. Und natürlich waren alle überrascht, dass sie ein Kind hatte.
»Der Junge ist acht Jahre alt und leidet unter dem Down-Syndrom.«
Kate hatte es von Martin Blake erfahren, ihrem neuen Anwalt, einem ehemaligen Kollegen ihres Vaters. Nachdem sie tagelang darauf bestanden hatte, dass sie als Opfer keinen Anwalt bräuchte, kam es ihr so vor, als würde sie ihre Unschuld selbst hinterfragen. Schließlich hatte Kate ihn jedoch akzeptiert, da sie vermutlich alle Hilfe brauchen würde, die sie bekommen konnte.
»Allein schon dieses Wort: Unschuld «, hatte Bel erklärt. »Es impliziert, dass sie etwas beweisen muss.«
»Das behauptet doch niemand«, hatte Michael sie zu beruhigen versucht. »Wir wissen alle, dass Kate keine Schuld trägt.«
»Natürlich hat sie keine Schuld!«, schrie Bel ihn an. »Sie ist das Opfer! «
Dass Sam Moon am Down-Syndrom litt, erklärte Martin Blake, unterstütze Kates Theorie, dass es sich bei den Tätern um irgendwelche fanatischen Pro-Lifer handle. Außerdem habe er den Eindruck, die Polizei neige im Augenblick dazu, ihr zu glauben, obwohl die Untersuchungen natürlich längst nicht abgeschlossen seien.
»Das Problem liegt in den physischen Beweisen«, sagte Blake.
»Und die sprechen allesamt gegen mich«, erwiderte Kate.
»Es wäre absurd«, bemerkte Michael, »wenn es nicht so tragisch wäre.«
»Es ist der pure Wahnsinn «, sagte Bel.
»Das ist ihr Spiel«, erklärte Kate.
55. Kate
»Das Problem«, erklärte Blake ihr bei ihrem nächsten Treffen, ein paar Tage vor Weihnachten, »liegt darin, dass man selbst die Elemente wegdiskutieren kann, die für Ihre Unschuld sprechen.« Er schaute sie reumütig an. »Theoretisch könnten Sie die sogar arrangiert haben.«
»O Gott«, seufzte Kate.
Sie waren allein in Blakes Büro. Beide empfanden sie es als besser, allein zu reden, ohne dass alle paar Minuten irgendwelche familiären Gefühle hochkochten.
Das Büro lag in einem modernen Gebäude an der Banbury Road in Oxford. Es war aufgeräumt, aber nicht übermäßig sauber. Im Gegensatz zu den Anwaltsbüros, in denen Kates Vater in Henley praktiziert hatte, war dieses
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