Die Radleys
ich das so gut kann«, sagt Clara und denkt an den Tag im Top Shop.
Schweigend gehen sie eine Weile weiter. Biegen in die Orchard Lane ein. Sie gehen geduckt unter einem blühenden Goldregen hindurch, und Clara weiß, dass ihr Bruder noch etwas sagen will. Er senkt die Stimme, bis sie zu leise ist, um die Wände der umliegenden Häuser zu durchdringen.
»Was mit Harper passiert ist … das waren keine normalen Umstände. Es braucht dir nicht leidzutun. Jedes Mädchen mit einem anständigen Gebiss hätte das Gleiche getan.«
»Aber ich war das ganze Wochenende wie auf Droge«, sagt Clara.
»Sieh mal, das war von absolut null auf hundert. Wahrscheinlich gibt es auch einen Mittelweg. Und du fühlst dich jetzt so, weil die Wirkung nachlässt … Und außerdem war das Harpers Blut. Wir sollten uns an nette Leute halten. Wohlmeinende Leute. Jemanden wie sie.«
Mit einem Kopfnicken deutet er auf die Frau, die Umschläge für »Rettet die Kinder« einsammelt, und bei Nummer neun vor der Tür steht. Clara findet das nicht witzig. Vor vierundzwanzig Stunden hätte Rowan so etwas niemals gesagt. Aber schließlich hätte sie sich vor vierundzwanzig Stunden auch nichts draus gemacht.
»Ein Witz«, sagt Rowan.
»Du solltest an deinem Sinn für Humor arbeiten«, rät sie ihm. Aber während sie das sagt, denkt sie an Harpers Hand auf ihrem Mund und an die Angst, die sie in dem Moment hatte, bevor sich alles veränderte und in Gewalt umschlug.
Nein, Rowan hat recht. Es wird ihr nicht leidtun, und wenn sie sich noch so sehr anstrengt.
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EIN DIABOLISCHES LÄCHELN ERSCHEINT AUF IHREM GESICHT
Peter geht nach Hause, beschwingt und heiter, schwebend durch die Wirkung von Lornas Blut.
Er ist so glücklich, dass er sogar vor sich hinsummt, obwohl er anfangs gar nicht weiß, was er summt. Dann fällt ihm auf, dass er den einzigen Song der Haemo Goblins auf den Lippen hat. Er erinnert sich an ihren einzigen Auftritt, in einem Jugendclub in Crawley. Sie hatten es geschafft, drei Songs zusammenzukriegen, indem sie ein paar Coverversionen eingeübt hatten – »Anarchy in the UK« und »Paint it Black«, wobei sie letzteren Titel für den Auftritt in »Paint it Red« umgedichtet hatten. An diesem Abend hatten sie Chantal Feuillade zum ersten Mal gesehen, die mit alpenfrischer Haut in ihrem Joy-Division-T-Shirt vor dem zwölfköpfigen Publikum auf und ab stelzte.
Gute Zeiten, muss er unwillkürlich denken. Ja, gute Zeiten.
Natürlich war er in jenen Tagen selbstsüchtig gewesen, aber vielleicht ist ein bisschen Selbstsucht nötig, um die Welt zu dem zu machen, was sie ist. Er hat einmal ein Buch von einem unblutigen Wissenschaftler gelesen, der die Theorie vertrat, dass Selbstsucht ein essenzieller biologischer Charakterzug jedes Lebewesens sei und dass jede augenscheinlich philanthropische Tat letztendlich selbstsüchtige Wurzeln habe.
Schönheit ist Selbstsucht. Liebe ist Selbstsucht. Blut ist Selbstsucht.
Und mit diesem Gedanken geht er unter dem blühenden Goldregen hindurch, ohne sich zu ducken, wie er es normalerweise tut. Dann sieht er die temperamentvolle, selbstsüchtige Lorna, die mit ihrem nervigen, selbstsüchtigen Köter auf die Straße tritt.
»Lorna!«, ruft er laut und jubilierend.
Sie hält inne, verwirrt.
»Hallo.«
»Lorna, ich habe nachgedacht«, sagt er mit mehr manischer Zuversicht, als er vorgehabt hatte. »Ich mag Jazz. Sogar sehr. Weißt du, Miles Davis, Charlie the Birdman. Solche Sachen. Ist einfach … toll. Ist total frei, findest du nicht? Klebt nicht ständig an einer Melodie. Bricht einfach aus, improvisiert, tut, was er will … nicht wahr?«
Der Hund knurrt.
Charl ie the Birdman?
»Kann schon sein«, sagt Lorna.
Peter nickt und erwischt sich dabei, wie er eine kleine Pantomime auf einem Luftklavier vorführt. »Ganz genau! Ja! Also … wenn du immer noch vorhast, zu den Jazzleuten im Fox and Crown zu gehen, würde ich liebend gern mitgehen. Wirklich, liebend gern!«
Lorna zögert. »Also, ich weiß nicht«, sagt sie. »Die Lage hat sich … verbessert.«
»Verstehe.«
»Zwischen mir und Mark.«
»Ja.«
»Und Toby macht gerade eine schwierige Phase durch.«
»Wirklich?«
»Ich glaube, er macht sich Sorgen um seinen Freund.«
»Oh«, sagt Peter enttäuscht.
Aber dann vollzieht sich eine Veränderung mit Lornas Gesicht. Sie denkt über etwas nach. Ein diabolisches Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht. »Nein, schon gut. Man lebt nur einmal. Wir gehen hin.«
Und beinahe
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