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Die Radleys

Titel: Die Radleys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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gleichzeitig mit ihren Worten schwindet Peters Heiterkeit, und er spürt das wahrhaft schuldige Entsetzen der Versuchung.

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    SCHUHKARTON
    Rowan ist fertig zum Ausgehen.
    Er hat sich gewaschen, seine Schuluniform aus- und etwas anderes angezogen und das Gedicht für Eve in die Tasche gesteckt. Das Einzige, was ihm fehlt, ist eine frische Flasche Blut. Also greift er nach seiner Tasche, steckt die Geldbörse in die Jacke, überprüft im Spiegel die Frisur und tritt hinaus auf den Flur. Er hört im ersten Stock jemanden duschen, was seltsam ist zu dieser frühen Stunde an einem Montagabend. Als er am Badezimmer vorbeikommt, hört er die Stimme seines Vaters zwischen dem Rauschen des Wassers. Er singt, mit seiner peinlich falschen Stimme, einen Song, den Rowan nicht kennt. »Wie hübsch du bist, in deinem roten Kleid …« Das ist so ziemlich alles, was er aufschnappt, bevor Clara im Flur auftaucht.
    »Wo gehst du hin?«, fragt sie ihren Bruder.
    »Ins Kino.«
    »Bisschen früh, findest du nicht?«
    Er senkt die Stimme, damit sein Vater – der inzwischen einen grauenhaften Refrain jault – ihn nicht hört. »Ich will mir unbedingt erst noch Blut holen. Du weißt schon, für alle Fälle.«
    Sie nickt. Rowan rechnet damit, dass sie sauer wird, was aber nicht passiert.
    »Okay«, sagt sie. »Pass auf dich auf …«
    Rowan geht die Treppe hinunter. Er weiß, dass seineMutter in der Küche ist, kommt aber nicht auf die Idee, sich zu fragen, warum sie reglos dasteht und in die Messerschublade starrt.
    Er hat andere Dinge im Kopf.
    Rowan klopft an die Tür von Wills Bus, aber er ist nicht da. Da er weiß, dass Will auch nicht im Haus ist, öffnet er die Tür. Er klettert in den Bus, sucht nach einer Flasche mit Blut, kann aber keine finden. Die Einzige, die er findet, ist leer. Er hebt Wills Matratze hoch. Darunter ist nichts außer ein paar ledergebundenen Tagebüchern, womit man keinen Durst stillen kann. Er entdeckt eine ungeöffnete Flasche in einem zusammengerollten Schlafsack und greift danach, aber als er den Schlafsack hochhebt, schiebt sich der Deckel von einem Schuhkarton. Der Deckel fällt auf den Rücken, und auf der Innenseite kommt eine Telefonnummer zum Vorschein. Ihre Telefonnummer.
    In dem Karton liegt ein Packen Fotos, der von einem Gummiband zusammengehalten wird. Das erste Foto ist ziemlich alt und zeigt ein Baby, einen Jungen, der friedlich auf einem Schaffell schläft.
    Er kennt dieses Baby.
    Es ist er.
    Er streift das Gummiband ab und blättert die Fotos durch. Seine ersten Lebensjahre flackern an ihm vorbei. Er wird zum Kleinkind, dann zum Schuljungen.
    Warum? Die Fotos enden, als er ungefähr fünf oder sechs ist.
    An seinem Geburtstag.
    Sein Gesicht ist übersät mit Pusteln, von denen seine Mutter erklärt hat, es wären Masern. Plötzlich will er wissen, was diese Fotos hier zu suchen haben. Die Briefe sind vielleicht aufschlussreicher. Er fängt mit dem obersten auf dem Stapel an und erkennt die Handschrift seiner Mutter.
    17. September 1998
    Lieber Will,
mir fällt nichts Besseres ein, wie ich diesen Brief anfangen könnte, als mit dem Satz, dass dies mein letzter Brief sein wird.
Ich weiß nicht, ob du dich darüber aufregen wirst oder ob du die Fotos von Rowan vermissen wirst, aber ich glaube wirklich, jetzt, wo er zur Schule geht, ist es Zeit, dass wir unserer Wege gehen, um seinetwillen, aber auch um unsertwillen.
Du siehst, ich fühle mich fast wieder normal. Eine »Unblutige« wie wir zynischerweise zu sagen pflegten. Morgens, wenn ich mit den Kindern beschäftigt bin – sie anziehe, Claras Windel wechsele, Zahngel auf eine wunde Stelle reibe oder Rowan noch eine Dosis seiner Medizin verabreiche –, kann ich mich manchmal fast vergessen, und dich vergesse ich ganz.
Eigentlich sollte dich dies hier nicht allzu sehr treffen. Du hast mich nie gewollt, wenn mit Wollen eine vertrauensvolle Partnerschaft gemeint ist und nicht der Nervenkitzel am frischen Blut. Und ich erinnere mich immer noch, was du für ein Gesicht gemacht hast, als ich dir sagte, dass ich schwanger bin. Du warst entsetzt. Ich hatte jemanden erschreckt, von dem ich nie gedacht hätte, dass man ihn erschrecken kann. Insofern tue ich dir vielleicht auf eine komische Art einen Gefallen.
Du verabscheust Verantwortung in dem gleichen Maße, wie ich sie brauche. Und von nun an wirst du nicht einmal mehr diese Briefe lesen oder dir seine Fotos ansehen müssen. Vielleicht hast du sie auch gar nicht erhalten. Vielleicht hast du

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