Die Ratte des Warlords (German Edition)
World Vision betätigte sich überwiegend im Rahmen des Welternährungsprogramms überall auf der Welt in Bürgerkriegsregionen, in Katastrophengebieten und an Kriegsschauplätzen. Für die auf der ganzen Welt gesammelten Spenden erwarb World Vision Nahrung und Produkte primären Bedarfs, Lebensmittel kaufte man überwiegend vor Ort, damit die Menschen etwas Einkommen hatten. Anschließend wurden die Güter per Laster, seltener per Flugzeug, zu den Notleidenden transportiert. World Vision hatte nur wenige hauptamtliche Mitarbeiter und bei den Freiwilligen war es die Maxime dieser Organisation, möglichst viele Einheimische einzusetzen, damit sie lernten, sich selbst zu versorgen. Für die Westler dauerte der freiwillige Einsatz ein halbes Jahr, danach konnte man entscheiden, ob man weitermachen wollte oder nicht. Was die Bezahlung anging, existierte sie als solche nicht, abgesehen von Kost und Logis und einem kleinen Taschengeld.
Keplers Einsatz würde etwa neun Monate dauern. Das war beim ersten Mal immer so, wegen des Aufenthaltes in England. Dort waren einige Wochen zu verbringen, bis man ausreichend geimpft und ausgebildet war. Außerdem brauchte es Zeit, bis die nötigen Papiere beantragt und genehmigt wurden.
Die Ausbildung bestand darin, die Sprache, die Kultur und die Verhaltensr egeln des Landes zu lernen, in dem man eingesetzt werden würde, und aus Fahrausbildung. Unterrichtet wurde von anderen Freiwilligen, die Pause zwischen den Einsätzen machten, und von Afrikanern, die sich in England aufhielten.
World Vision unterhielt ein Ausbildungscamp in der Ortschaft Edney Co mmon unweit von London. Außer Kepler gab es dort momentan neun Freiwillige, aber er war der einzige Deutsche. Der Leiter des Kamps sagte ihm, dass die Deutschen sich meist über den THW oder deutsche Hilfsorganisationen engagierten, Kepler sei der erste Germane seit langer Zeit bei World Vision.
Die anderen waren vier Engländer, ein Italiener, zwei Franzosen, zwei Iren und eine Schwedin. Kepler war der einzige Ex-Militär in der Gruppe, die anderen waren Aussteiger aus zivilen Berufen, die nach etwas Sinnvollem in ihrem Leben suchten. Die beiden Franzosen waren Agraringenieure, die Engländer hatten in Büros und Banken gearbeitet. Nur der Italiener hatte einen Beruf als Handwerker ausgeübt. Die Schwedin war Lehrerin.
Keplers Umgang mit den anderen beschränkte sich darauf, mit j edem in dessen Sprache zu reden, damit er Übung hatte, ansonsten hielt er sich abseits. Freundschaften konnte er mit den anderen nicht schließen, er wollte es auch nicht. Er beteiligte sich nie an ihren Gesprächen. Dieses Gerede kam ihm zu hochtrabend vor, besonders wenn die Schwedin sich darüber ausließ, wie ihr der Wohlstand des Westens zum Hals raushing. Kepler wusste, dass niemand von ihnen, ihn selbst eingeschlossen, die Welt auch nur ein bisschen verändern können würde. Ihre Aufgabe bestand nur darin, das Leid der Menschen zu lindern. Und dieses Leid ließ keine Träumereien zu. Noch mehr als diese Wunschvorstellungen störte Kepler das Gefühl, die anderen würden in Afrika mehr etwas von der Romantik der großen weiten Welt suchen, als dass sie vom unbändigen Wunsch zu helfen getrieben waren. Kepler hatte genug vom Krieg gesehen, um zu wissen, dass dieses Elend nichts Romantisches an sich hatte.
Die freie Zeit verbrachte Kepler damit, zu lernen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu trainieren. Er tat es immer für sich allein. Ansonsten konzentrierte er sich auf den Unterricht. Die meisten aus der Gruppe würden im Sudan eingesetzt werden, wo Arabisch eine der beiden Amtssprachen war. Nach einem Monat sprach Kepler es hinreichend genug und fing an, Swahili – früher Suaheli genannt – und Tigrinya zu lernen, falls er nach Kenia oder Eritrea gehen müsste.
Die Fahrausbildung war nicht sehr umfangreich, World Vision konnte sich nicht viel leisten, es wurden nur die Grundregeln des Fahrens im unwegsamen Gelände trainiert. Etwa ein Zehntel der Straßen in Sudan war asphaltiert, die neunzig anderen Prozent waren einfache Pisten, auf denen manchmal Striche aufgemalt waren. In den Tiefen des Landes gab es meistens nicht mal das, nur mehr oder weniger festgefahrene Pfade. Kepler musste sich an Rechtslenker umgewöhnen, die in Afrika zuhauf unterwegs waren. Er kam mit dieser Umstellung zwar klar, fand es aber im Stillen idiotisch, auf der falschen Seite sitzen zu müssen. Gefahren wurde auf einem Scania. Das schwedische Unternehmen
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