Die Rebellion
los?«
»Ich weiß es nicht. Irgend etwas Schlimmes passiert gleich.
Ich fühle es.«
»Lily …«
»Meine Hexenkräfte irren sich nie.«
»Natürlich passiert gleich etwas Schlimmes. Wir haben die
Bomben gelegt, oder hast du das vergessen? Und jetzt halte
verdammt noch mal endlich den Mund, bevor du unnötige
Aufmerksamkeit auf uns lenkst. Und laß meinen Arm los. Ich
spüre meine Finger nicht mehr.«
Lily zog eine Grimasse und wandte ihrem Liebhaber den
Rücken zu. Michael seufzte dankbar. Die Ansprachen gingen
weiter. Sie dauerten viel länger als geplant, wie Ansprachen
das nun mal so an sich haben. Einige der Gefangenen und Mitglieder des Stabes der Fabrik verloren wegen der Hitze das
Bewußtsein und wurden mit verschieden brutalen Methoden
wieder zu sich gebracht, wenn die Kamera gerade nicht auf sie
gerichtet war. Die Zeit verging. Eine Menge Leute hatte begonnen, unruhig auf die Uhren zu blicken. Toby zum Beispiel,
während er hoffte, daß die Zuschauer nicht wegschalten würden, wenigstens bis zu den Exekutionen. Er runzelte unwillkürlich die Stirn. Er war nicht sicher, was er von der Sache halten
sollte. Einerseits waren es ganz definitiv Rebellen, Kriminelle,
aber andererseits waren die meisten Frauen und Kinder. Toby
Shreck hatte in seinem Leben eine Menge fragwürdiger Dinge
gutgeheißen. Das kam davon, wenn man für Gregor Shreck
arbeitete. Aber die kaltblütige Ermordung von Kindern ging
einen Schritt zu weit, selbst für jemanden wie Toby. Er hatte
angestrengt nachgedacht, was er dagegen unternehmen könnte,
und ihm schien, daß er nur eine einzige Chance hatte. Er mußte
in der allerletzten Minute vor die Kamera treten und die Imperatorin direkt um Gnade für die Kinder anflehen. Die beobachtenden Milliarden würden es fressen, und Löwenstein würde
vielleicht die Vorteile erkennen, die ein warmherziges, gütiges
Auftreten in der Öffentlichkeit nach sich ziehen würde. Jedenfalls war es die einzige und letzte Hoffnung für die Kinder. Für
die Frauen und die verletzten Männer konnte er nichts tun. Das
Publikum wollte und mußte Blut sehen.
Und so blickten alle immer und immer wieder auf die Uhren
und veranstalteten im Kopf wilde Rechnungen, während sie
darauf warteten, daß die Zeit für die geplanten Überraschungen
kam. Sie alle waren so mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt,
daß niemand die Gestalt von Investigator Klipp bemerkte, die
leise von der Bildfläche verschwand, um eine geheime Mission
auszuführen.
Die Ehrwürdige Mutter Beatrice saß auf einem Klappstuhl vor
dem Hospitalzelt, genoß die frische Luft und trank Wein direkt
aus der Flasche. Selbst die abendliche Hitze war noch eine
Wohltat nach dem klaustrophobischen Leichenhallengestank
im Innern des Zeltes. Inzwischen gab es wieder mehr Platz,
nachdem die am schlimmsten Verwundeten gestorben waren,
doch das Zelt war noch immer von Wand zu Wand vollgestopft
mit menschlichem Leid. Beatrice seufzte und nahm einen weiteren tiefen Schluck. Sie rettete mehr Patienten, als sie verlor,
aber nur gerade eben so. Hinter ihr schwang die Tür für einen
Augenblick auf und ließ einen Schwall von nach billigem Desinfektionsmittel stinkender Luft hinaus, das kaum den Geruch
von Blut, Kot und Faulbrand zu über decken imstande war.
Beatrice erschauerte, und ihre Hände zitterten noch eine ganze
Weile länger. Sie hatte so viel Tod und Schmerz erlebt, daß es
sie ganz krank machte. Sollte sich eine Weile jemand anderes
um alles kümmern. Beatrice wußte, daß ihre Kraft schließlich
wiederkommen würde, und dann würde sie aufstehen und in
die Hölle zurückkehren, aber im Augenblick war es einfach
zuviel verlangt. Sie saß auf ihrem Stuhl, trank ihren Wein und
blickte sarkastisch zu der großen Feier hinüber, die vor der
Fabrik stattfand. Man hatte sie eingeladen, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie ihnen die Befriedigung ihres Besuchs
geben würde. Das wäre bei nahe einem Gutheißen ihres kleinen
billigen Krieges gleichgekommen.
Plötzlich näherten sich Schritte, die Beatrice aus ihren Gedanken rüttelten. Sie blickte sich um und erkannte Investigator
Klipp, die ohne Eile den flachen Abhang zu Beatrice hinaufkam. Beatrice runzelte die Stirn. Was, zur Hölle, wollte Klipp
von ihr? Investigatoren pflegten Wunden nicht zu beachten, die
nicht unmittelbar lebensbedrohend waren, und sie waren auch
nicht gerade berühmt für ihre Krankenbesuche. Beatrice musterte Klipp, während sie
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