Die Regentin (German Edition)
kurz zusammenzucken – auch Bathildis.
Sie fuhr herum, den Blicken der übrigen Versammelten folgend, sah sie jenen, welcher gemessenen Schrittes in die Mitte des Raums trat, schmal und bleich und mit kaltem, starrem Blick, der alle Unruhe bändigte.
Seit Chlodwigs Tod hatte Bathildis Ebroin kaum zu Gesicht bekommen. Er war ihr aus dem Weg gegangen, und sie war erleichtert gewesen, sich ihm nicht stellen zu müssen – so wenig wie dem Verdacht, nein, eigentlich dem sicheren Wissen, dass er hinter dem schändlichen Mordanschlag auf der Mauer steckte. Nun freilich, da sämtliche Augen auf ihm ruhten und er nicht länger vom Kummer um Chlodwig gezeichnet schien, sondern beherrscht und entschlossen, so fiel sie ihr wieder ein – jene Todesfurcht, die sie auszustehen hatte, als unbekannte Männer sie angegriffen hatten und offenbar auf ihre Vernichtung aus waren.
Ebroin sah sie nicht an – und doch war sie gewiss, dass alles, was er nun sagen würde, gegen sie gerichtet sein würde.
Er wird noch bösere Worte gegen mich aussprechen als alleanderen, durchfuhr es sie. Er wird versuchen, mich in ein Kloster zu sperren, wie es mancher Witwe schon geschehen ist. Er wird alles tun, um mir die Söhne zu nehmen – so wie er aus reiner Rachsucht danach getrachtet hat, mir Childerich abspenstig zu machen.
Wieder blickte sie verzweifelt auf Eligius, hoffte, dass er sich dem Rotäugigen entgegenstellen würde, verhindern, dass er etwas sagte.
Doch ehe das Schweigen gebrochen ward, trat Ebroin in die Mitte des Saales und sprach: »Ich war der engste Freund des Königs; kein Zweiter weiß so gut wie ich, was ihn trieb und was er wollte. Ich bin ein Franke, und ich kenne dieses Land. Lasst mich sprechen!«
Bathildis stand draußen im Freien, nicht weit entfernt von jener Stätte, da sie den gemeinen Anschlag hatte erleben müssen. Diesmal war der Himmel nicht nachtschwarz, sondern von den Wolken erhellt, wenngleich matt und farblos einer unbeschriebenen Seite gleichend, die neu zu füllen war und alles an Möglichkeit bot: strahlendes Licht und düstere Gewitter, faden Nieselregen und laute Stürme, mildes Blau und rostiges Abendlicht. Bathildis wusste nicht, wofür sie sich entscheiden sollte, hätte sie die Gewalt über die Himmelsmächte.
Ebroin näherte sich ihr lautlos, und doch spürte sie ihn kommen. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass sein weißes Gesicht von der kalten Luft ganz steif und gerötet war.
»Vor wenigen Tagen hast du den Befehl gegeben, mich an dieser Stätte zu meucheln«, begann sie rasch zu sprechen, um ihm das Recht auf das erste Wort zu nehmen. »Und heute hast du mich zur Regentin gemacht?«
Ebroin versuchte zu lächeln, aber es misslang ihm. Der Kummer um den König hatte seiner Stimme das Schrille und Laute geraubt. Nun war alles, was von ihm kam, merkwürdig sanft, weich, geglättet.
»Du weißt doch, warum ich es tat.«
Sie wusste nicht, worauf sich seine Worte bezogen – ob auf den Anschlag damals oder sein Eintreten für sie heute.
Ihre Ohren waren noch voll vom Stimmengewirr, vor allem aber von seinen Worten. Er hatte von den großen Merowingerköniginnen gesprochen, die lange Zeit vor ihr die Regentschaft für ihre minderjährigen Söhne ausgeübt hatten, darunter viele, die dies zum Wohle und Nutzen des Landes taten, ungeachtet ihrer oft geringen Herkunft.
Ja, gerade dass diese Frauen einst Sklavinnen gewesen waren, gereichte ihnen zum größten Vorteil. Allen Familien des Landes standen sie gleich nah, und auch Bathildis würde keine von ihnen je bevorzugen oder benachteiligen.
»Wer sonst von euch könnte derart unparteiisch sein?«, hatte Ebroin gerufen. »Wem sonst könnt ihr vertrauen ohne Furcht, dass er mit eurem Nachbarn paktiert? Jeder Einzelne von euch entstammt einer Sippe, die in Fehde mit einer anderen liegt. Bathildis jedoch hat keinen Bruder, keinen Vater, der sich für irgendein vergangenes Verbrechen rächen muss. Lasst Chlothar an die Macht – cum matre regnatorum , unter der Regenschaft der Mutter – und ihr werdet euch in keine unnützen Kämpfe verstricken!«
An ihrer Stelle war er aufrecht und angespannt die Reihen auf und ab geschritten, hatte sich den wütenden Antworten auf seine Rede gestellt. Man hatte ihm zugehört, was nicht gleich hieß, dass man ihm auch zustimmte. Doch das Missfallen an seinem Vorschlag prallte an ihm ab. Erst nachdem sich alle hitzig geredet hatten, da setzte er zum eigentlichen Argument an, das sämtliche Widerworte
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