Die Regentin (German Edition)
kleinlaut werden ließ.
»Und Austrasien?«, rief er den Versammelten zu. »Jener Teil des Frankenreiches, wo König Chlodwigs Bruder herrscht – und mit ihm, ja für ihn, das mächtige Geschlecht der Pippiniden? Wir müssen ihnen all unsere Stärke entgegensetzen, ein geeintes Reich, nicht drei erbärmliche Provinzen, die eine nach der anderendie Begehrlichkeiten unseres Nachbarn wecken würden. Wie groß würde die Versuchung sein, in diese Gebiete einzufallen, sie Austrasien zu unterwerfen. Die Folge wäre ein geeintes Frankenreich, doch zu welchem Preis? Dann wärt ihr nur noch Adelige zweiten Rangs, wenn nicht gar enteignet zugunsten der austrasischen Großen! ... Und das ist noch nicht alles: In all dem Eifer, dieses Land zu teilen, habt ihr niemals an Burgund gedacht. Die Burgunder unter euch werden es leugnen – doch wie lange werden sie sich einem Neustrien fügen, das zerrissen, das zersplittert ist? Ich sage es wieder und wieder. Um zu bestehen, bedarf es dieser drei: ein Land, ein König – und eine Regentin, die selbstlos und unparteiisch für diesen herrscht, solange er noch ein Kind ist.«
Bathildis schüttelte langsam den Kopf, das eine Unglaubliche gegen das andere abwägend – dass man Ebroins Warnung ernst genommen, seinem Vorschlag schließlich widerstrebend zugestimmt hatte und dass er ihn überhaupt unterbreitet hatte.
»Ich dachte, du würdest mich hassen«, sagte sie und kämpfte um Gelassenheit. Sie wollte ihm nicht zu erkennen geben, wie sehr er sie überrascht hatte. »Ich dachte, du würdest mich vernichten wollen...«
»Begreife endlich, dass du meiner bedarfst«, erwiderte er kühl, »dann wird Friede zwischen uns sein. Wir beide gleichen uns. Wir haben keine Familie und keinen Namen. Der König war mein Freund, doch sonst ist mir niemand verpflichtet – bis auf dich. Denn du magst jetzt Regentin sein, aber für die Großen des Landes bist du keine Herrscherin, sondern das geringere Übel. Du bist zu schwach, um auf mich verzichten zu können.«
Er schien die Worte sorgsam abzuwägen, legte jedoch in keines den befürchteten Hohn.
Sie klang dennoch barsch, als sie fragte: »Was genau willst du von mir?«
»Erchinoald ist alt und krank«, gab er zurück. »Anstatt die heutige Entscheidung mitzubestimmen, hat er sich schon seitStunden zurückgezogen – was heißt, dass es sehr bald mit ihm zu Ende gehen wird. Stirbt er, werde ich Major Domus. Und nicht Erchinoalds Sohn Leudesius. Und ich will das Amt deines Consiliarius.«
Sie lächelte spröde. »Erbittest du das, oder befiehlst du es mir?«
»Kämpfe für deinen Sohn, der jetzt König ist, aber kämpfe niemals gegen mich. Wir werden gemeinsam die Geschicke des Landes führen.«
Sie konnte ihm nicht widersprechen. »Gut«, stimmte sie zu und verbarg das Unbehagen über den Pakt, den mit ihm zu schließen sie genötigt war. »Gut, so sei es.«
Sie hatte gehofft, er würde nach den klärenden Worten gehen und sie mit ihren Gedanken alleine lassen, mit ihrem Hadern darüber, dass ausgerechnet er ihr zu einem Rang verholfen hatte, den sie in Wahrheit gar nicht wollte. Doch stattdessen trat er noch näher an sie heran.
»Ich habe immer gewusst«, raunte er kaum hörbar, »dass wir beide in gewisser Weise füreinander bestimmt sind.«
Wollte er sich für die Demütigung rächen, die sie ihm beim letzten gemeinsamen Abendmahl zugefügt hatte? Oder war aller Zorn auf sie längst gezähmt von seiner Trauer um Chlodwig, viel tiefer und verzweifelter, als sie es je von ihm erwartet hätte?
Immer noch fiel es ihr schwer zu glauben, dass er den König nicht manchmal verachtet hätte für dessen Zögern und Schwäche. Und doch – seine Augen, noch mehr gerötet als sonst, verrieten die Tränen, die für jenen geflossen waren.
Bathildis wich seinem Blick aus, doch die Ahnung, dass Ebroin von ganzem Herzen Kummer litt, legte sich ihr wie eine Schlinge um die Kehle. Keuchend suchte sie nach Worten und fand sie nicht. Er meinte, dass sie aufschluchzte und hielt ganz plötzlich ihre Hand, noch ehe sie gemerkt hatte, dass seine langen, geschmeidigen Finger zu ihren hochgeschnellt waren.
Seit Chlodwigs Tod weinte sie zum ersten Mal wieder.
Ebroins Hände legten sich noch fester um ihre.
»Wag es nicht«, wehrte sie ihn heiser knurrend ab, »wag es nicht!«
Er machte keine Anstalten, sie loszulassen, und sie keine, sich loszureißen.
»Ich weiß, dass ich dich von nun an brauche«, fuhr sie fort. »Doch wisse du, dass ich nicht
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