Die Regentin (German Edition)
offensichtlich, dass er wohl nur aus Feindschaft mit den Pippiniden den fremden Prinzen akzeptierte und nicht länger zu dessen Gunsten handeln würde, als es ihm selbst Nutzen brachte, ja, dass seine Höflichkeit allein für jene Spanne reichte, da der Knabe zu jung war, um eigenständig Entscheidungen zu treffen.
Dies setzte ihr am meisten zu – dass nirgendwo in diesem Land ein wahrer Freund für Childerich zu finden war, dass man ihn stets aus Eigennutz umwerben würde, nie aus echter Treue.
Am dritten Tage nach der Ankunft fasste sie sich ein Herz und sprach mit jener Frau, die fortan ihre Rolle bei dem Knaben innehaben würde – mit der Königin Chimnechilde, die erst den Mann verloren hatte, dann erleben musste, wie man den Sohn nach Irland schaffte, und schließlich, wie jener durch ein fremdes Kind ersetzt wurde.
Obendrein war über ihren Kopf hinweg entschieden worden, dass Childerich dereinst ihre kleine Tochter heiraten würde. Jene Bilichild war noch jünger als Bathildis’ Sohn, ein scheues, blondes, großäugiges Mädchen, von dem sich nicht sagen ließ, ob es die Sprache der Menschen überhaupt beherrschte, denn schüchtern sagte sie nie ein Wort. Bathildis fand das absonderlich und sah zugleich einen Vorteil darin, dass das Mädchen so unbeschrieben war wie eine glatte Wachstafel, noch offen dafür, sich ohne Vorurteil dem fremden Knaben, der ihr als Gatte vorgesehen war, zu öffnen. Vielleicht konnte sie der Freund werden,der sich ansonsten nirgends finden ließ? Und vielleicht ließ sich Chimnechildes Herz für Childerich öffnen, wenn offenbar wurde, dass er zumindest der eigenen Tochter zur Königswürde verhalf?
Eben das wollte Bathildis ergründen, als sie Chimechildes Nähe suchte.
»Ich vertrau dir meinen Sohn an, Königin!«, sprach Bathildis eindringlich. »Versprich mir, ihn zu führen! Er bedarf einer starken Hand, die nicht vor der Pflicht zurückzuckt, ihn zu züchtigen, wenn sein Verhalten es verlangt.«
Chimnechildes Gesicht war bleich und aufgedunsen und – ähnlich wie das des Dux Wulfoald – zu keiner Regung bereit. Bathildis kannte die Ursache für diesen Gleichmut nicht: War ihr vielleicht vormals beweglicher Geist ob der vielen Wunden erloschen, die das Leben ihr geschlagen hatte? Oder verachtete sie Bathildis, so wie viele andere des Hofs, die in ihr nur die Sklavin aus der Fremde sahen?
»Ich bitte dich... ich bitte dich, Königin«, fuhr Bathildis fort, und sie suchte zu vergessen, wie beschämend es war, eine so leer blickende Frau anzuflehen. »Sieh zu, dass seine Seele solcherart geformt wird, wie es Gott gefällt! Sieh zu, dass er ein guter... ein gerechter Herrscher wird! Ich sage es nicht gerne, doch verhält es sich so, dass in ihm manches wuchert, was nicht weiter wachsen sollte: unbeherrschter Zorn und Willkür, Trotz und Lust an Grausamkeit. O bitte, wenn ich nicht mehr hier bin, treib du es ihm aus!«
Sie konnte nicht genau sagen, worin sie bestand, doch eine flüchtige Regung schien über Chimnechildes Gesicht zu zucken. Ihr Lächeln verstärkte sich.
»Aber liebste Bathildis«, murmelte sie, »warum soll ich jemals Schlechtes von deinem und des guten Chlodwigs Sohn erwarten?«
Bathildis schlug die Augen nieder, auf dass die andere nicht ihre Gedanken erahnte. Sie fielen äußerst abfällig aus gegeneine Frau, die nicht bloß wie eine leblose Statue vor ihr hockte, sondern obendrein nichts anderes als Floskeln zu sagen wusste.
»Du bist doch eine Mutter so wie ich, hast sie getragen, deine Kinder, sie unter Schmerzen geboren«, versuchte sie Chimne-childe doch noch zu erreichen. »Du kennst sie doch – die Hoffnung, dass sie dir Ehre erbringen. Das will ich auch! Erziehe meinen Sohn, damit ich stolz sein kann!«
Wieder bewegte sich etwas in Chimnechildes Antlitz.
»Gottes Segen ruht auf dem Geschlecht der Merowinger. Ein Sohn, der daraus hervorgeht, wird den himmlischen Vater stets erfreuen – und seine irdische Mutter ganz gewiss.«
Ein knurrender Laut entfuhr Bathildis’ Mund.
Verbarg sich hinter Chimnechildes Worten auch ein leises Sticheln gegen eine, die sich zwar Regentin nennen mochte und dennoch niemals die Herkunft und den Rang des eigenen Sohnes erreichen würde?
Bathildis hatte keine Möglichkeit, es zu ergründen, denn schon gestattete ihr Chimnechilde kein weiteres Wort mehr über den Sohn, sondern begann überschwänglich, Bathildis’ Schmuck zu loben. So wie Gertrude einst über Bathildis’ Elend als Sklavin
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