Die Regentin (German Edition)
weißt etwas von dem Leben, welches dich erwartet! Wenn sie sterben, so kommen sie nicht in Himmel oder Hölle, sondern nach Walhall, wo sie gemeinsam mit ihrem Gott Odin saufen und huren. Freilich nur den Kriegern ist das gestattet. Die anderen, auch ihre Sklaven, verschlägt’s nach Niflheim, das ist ein eisiges Totenreich.«
»Hör auf!«
»Ach was! Übrigens gefällt mir dein Bruder nicht! Der scheint mir gleich umzukippen!«
Bathildis drehte sich um und schrie leise auf. Aidan rührte sich nicht; über sein leichenblasses Kinn tropfte weißer Schaum.
Bathildis hatte das Gefühl, stundenlang auf ihn eingeredet und ihn mit lauem Wasser beträufelt zu haben, bis er endlich das Bewusstsein wiederfand. Noch angebunden hatte sie nichts für ihn tun können. Doch als der Wind frischer geworden, als Dämmerwolken aufgezogen waren und sich der Markt von Wik geleert hatte, hatte einer der mürrischen Nordmänner sie losgebunden und zurück zum Schiff geführt – wobei freilich nur Bathildis selbst gehen konnte, er Aidan hingegen wie einen Sack geschultert trug. Die Last schien ihm nichts auszumachen, so leicht war der ausgemergelte Mann – aber er fluchte dennoch ohne Unterlass in seiner unverständlichen Sprache, vielleicht, weil es ihnen nicht gelungen war, die beiden zu verkaufen.
Im stickigen Raum überkam Bathildis Furcht, denn der Mann, der Aidan unsanft zu Boden hatte plumpsen lassen, blieb zögernd stehen, anstatt zu gehen. Würde er sie tatsächlich ins Meer werfen, weil sie keinen Ertrag brachten? Waren sie so schwächlich, dass sie nicht einmal taugten, ihnen selbst als Sklaven zu dienen? Vielleicht wollte das der Anführer auch gar nicht, weil ein liebreizendes Mädchen zu viel Unfrieden stiftete. Freilichdachte sich Bathildis, dass sie nach der schrecklichen Fahrt und dem heutigen Tag gewiss nicht liebreizend aussah.
Am Ende seines Zögerns warf der Mann ihnen lediglich einen Lederbeutel zu, in dem sich übel riechende Reste von geräuchertem Aal befanden. Bathildis war der Hunger vergangen. Sie stürzte auf Aidan zu, schüttelte ihn und suchte dann, nachdem er sich immer noch nicht rührte, sondern nur noch mehr weißer Schaum über seine Lippen getreten war, im fast finsteren Raum nach dem Wasserkrug. Gottlob flossen noch einige Lichtstrahlen durch die Ritzen, sodass sie sein bleiches Gesicht im Auge behalten konnte.
Atmete er noch?
Sie tränkte eine Falte ihres zerfledderten Kleides mit dem schalen Wasser und wischte ihm das Gesicht ab. Er stöhnte nicht, aber immerhin begannen die Lider leicht zu flattern.
Er darf nicht sterben, dachte sie, wenn er stirbt, dann bin ich verloren... was soll ich denn machen ohne ihn?
Sie ließ die Hand sinken. Sie hatte die Frage gestellt, weil sie sich der Antwort gewiss war. Doch nun tönte eine aufrührerische Stimme in ihr, bekundend, dass sie ohne ihn, der wie ein Mühlstein an ihr hing, vielleicht besser dran wäre. All ihre Gedanken könnte sie darauf verwenden, über eine Flucht von diesem Schiff nachzusinnen oder darüber, wie es ihr gelingen könnte, von einem Christen gekauft zu werden, nicht von einem Heiden. Vielleicht ließe sich bei einem solchen um Gnade bitten?
»O Aidan!«, stieß sie unwirsch hervor, streichelte ihn nicht mehr zart, sondern stieß ihn heftig an, sodass sein Kopf beinahe von ihrem Schoß rollte. »Nun nimm deine Kraft zusammen! Wir müssen darüber nachsinnen, was wir tun sollen!«
Offenbar erreichte ihn die ungeduldige Stimme. Er schlug zwar die Augen nicht auf, aber begann zu murmeln.
»Lass mich... lass mich einfach... schlafen!«
»Nein!«, schrie sie, erstaunt, dass der ausgetrocknete Halsnoch solch lautes Wort speien konnte. »Du kannst dich später ausruhen, nicht jetzt! Wir müssen uns überlegen, wie wir...«
»Es... es ist aus, Bathildis«, stöhnte er matt und öffnete die Augen zumindest einen Spalt weit. »Wir werden niemals in unsere Heimat zurückkehren.«
Sie wollte nicht auf ihn hören. »Wir müssen irgendwie von diesem Schiff kommen. Vielleicht bewachen sie uns nicht. Hast du nicht gesehen, wie viel Met sie getrunken haben?«
Er schüttelte zaghaft den Kopf, was sie derart erboste, dass sie ihm in den weichen Bauch kniff. »Nein, natürlich hast du es nicht gesehen!«, schimpfte sie. »Hast wie ein Klotz in den Fesseln gehangen! Aber das hilft uns nicht! Wir müssen so viel wie möglich erfahren – wo wir sind, was sie mit uns machen wollen. Ich habe heute ein Mädchen gesprochen, sie hieß Bruntje,
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