Die Rettung
angerichtet hatte. Ihr erster Impuls bestand darin, das zu tun, was sie immer tat, nämlich nachzugeben. Doch dann straffte sie sich, bereit, den Kampf bis zum bitteren Ende durchzufechten. »Ich weiß, dass du nur Spaß gemacht hast. Aber ich meine es ernst. Geh jetzt!«
Kenneth starrte sie eine Weile wortlos an. Barri bemerkte, dass sich eine ganze Anzahl Menschen an den Türen versammelt hatte, um ihr notfalls zu Hilfe zu eilen. Kenneth blinzelte, dann ließ er den Blick unschlüssig über die Menge wandern. Schließlich schob er die Hände in die Hosentaschen, drehte sich um und verließ den Raum.
Barri sank in ihren Stuhl und wurde sofort von Krankenschwestern und Pflegern in verschiedenfarbigen Kitteln umringt, die sich besorgt erkundigten, ob alles in Ordnung sei. Barri nickte, obgleich sie am ganzen Leib zitterte. Cindy kehrte mit einem Beamten des Sicherheitsdienstes zurück, der auf den Parkplatz hinausging, um sich zu vergewissern, dass Kenneth das Krankenhausgelände verlassen hatte. Einige Kollegen klopften ihr auf den Rücken und versicherten ihr, sie hätte genau das Richtige getan, trotzdem vermochte Barri ihnen vor Scham kaum in die Augen zu sehen. Kenneth hatte sie öffentlich erniedrigt und behauptet, sie sei zu nichts zu gebrauchen. Zwar wusste sie, dass die Worte seinem nackten Hass entsprungen waren, dennoch flüsterte ihr ein böses Stimmchen zu, er könne vielleicht doch Recht haben. Und sie begann sich zu fragen, ob all die Leute, die um sie herumstanden, nicht insgeheim genauso dachten.
Als sie sich endlich dazu überwand, den Kopf zu heben und festzustellen, wer alles Zeuge ihrer Demütigung geworden war, sah sie zu ihrem Entsetzen Dr. Bartleby im Türrahmen stehen. Anscheinend hatte sich alles gegen sie verschworen.
Ihr Dienst endete um fünf Uhr. Da der Zwischenfall mit Kenneth schon mehrere Stunden zurücklag, schlug sie das Angebot des Sicherheitsbeamten aus, sie zu ihrem Auto zu begleiten. Sie kannte Kenneth gut genug, um zu wissen, dass er jetzt vermutlich schon bis zur Besinnungslosigkeit betrunken auf dem Sofa schnarchte oder in einer Bar hockte, um genau auf diesen Zustand hinzuarbeiten. Zwar konnte sie nicht wissen, was Kenneth in der letzten Zeit alles so trieb, aber grundlegend geändert hatte er sich bestimmt nicht.
Doch als sie ihr Auto sah, wünschte sie doch, der Beamte wäre bei ihr. Ihr grüner SUV stand auf seinen Felgen; alle vier Reifen waren so brutal aufgeschlitzt worden, dass überall Gummiteile auf dem Boden verstreut lagen. Barri unterdrückte ein Stöhnen und sah sich nach Kenneth um. Vermutlich hatte er längst das Weite gesucht, Feigling, der er war; aber sie traute es ihm auch zu, dass er sich irgendwo versteckt hielt, um sich an ihrer Reaktion auf seinen kindischen Streich zu weiden.
Dr. Bartleby kam, die Hände in die Hosentaschen geschoben, mit einem amüsierten Lächeln auf sie zugeschlendert. Barri wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Sie betete inbrünstig, er möge die zerschnittenen Reifen nicht bemerken, doch ihr Gebet wurde nicht erhört. Bartleby blieb stehen, um sich die Bescherung genauer zu betrachten.
Ein mitfühlender Ausdruck trat auf sein Gesicht, als er fragte: »War das Ihr Mann?« Hastig berichtigte er sich: »Ihr Ex-mann, meine ich.«
Sie nickte stumm, ohne ihn anzusehen, und hoffte, er würde verschwinden und ihr weitere peinliche Fragen ersparen.
Aber das Glück war ihr nicht hold. »Sind Sie Mitglied in einem Automobilclub?«, erkundigte er sich.
Barris Verlegenheit wuchs. Kenneth hatte sich um all diese Dinge gekümmert, und sie hatte bislang noch nicht daran gedacht, solche Kleinigkeiten selbst in die Hand zu nehmen.
Dr. Bartleby griff nach seinem Handy, nahm eine Karte aus seiner Brieftasche und tippte eine Nummer ein.
»Das ist wirklich nicht nötig«, protestierte Barri. »Ich kann doch einfach ...« Er hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, dann berichtete er kurz und knapp, was geschehen war, forderte einen Abschleppwagen an, schaltete das Handy wieder aus und schob es in seine Tasche zurück. »Danke«, stammelte Barri nervös. »Das war sehr nett von Ihnen. Ich weiß gar nicht, wie ich ...«
Bartleby sah sich auf dem Parkplatz um, obwohl der Abschleppwagen erst in ein paar Minuten eintreffen würde. »Schlimm genug, dass Sie jetzt vier neue Reifen brauchen. Da müssen Sie sich nicht auch noch mit den Jungs vom Abschleppdienst rumärgern. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Ihnen
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