Die Rettung
Lichtung nahm Dylan sein Wehrgehenk ab und legte sein Schwert neben sich auf den Boden. Dann schritt er dreimal entgegen dem Uhrzeigersinn um das Feuer herum, bevor er davor niederkniete und Brigid in beide Hände nahm. »A null e, a nall e, släinte!«
Einige Minuten lang konzentrierte er sich mit all seinen Sinnen darauf, Sinann zu finden. Dann intonierte er langsam: »Sinnan Eire, Angehörige der Tuatha De Danann, Enkelin des Meeresgottes Lir, Hüterin des alten Clans MacMhathain, sprich zu mir.« Dabei bohrte er die Spitze des Dolches zwischen seinen Knien in die Erde.
Lange Zeit herrschte Stille. Dann wiederholte er seine Worte, erhielt jedoch keine Antwort.
Dylans Hoffnung schwand. Er umklammerte Brigids silbernen Griff fester und knurrte: »Sinann!«
Da hörte er plötzlich ihre Stimme. Sie klang dünn, wie aus weiter Ferne, gehörte jedoch unzweifelhaft Sinann. »Lange genug hast du ja gebraucht, du Narr!«
Dylan lächelte. Das war die lästige kleine Fee, wie sie leibte und lebte.
»Was hat Morrighan mit dir gemacht?«
»Mich mit einem Zauberbann belegt.« Ihre Stimme wurde umso schwächer, je stärker sich Dylan auf sie konzentrierte. »Du musst sie zwingen, ihn aufzuheben. Wenn sie das nicht tut, werde ich für alle Ewigkeit körper- und stimmlos durch die Welt der Sterblichen treiben. Dann gibt es für mich niemals die Erlösung durch den Tod, auch dann nicht, wenn meine Zeit gekommen ist.«
Dylan musste unwillkürlich kichern. »Sinann und ewiges Leben ... das darf man der Welt nicht zumuten.«
»Och, ist er nicht ein richtiger Witzbold?« Sinann blies ihm ärgerlich das Haar ins Gesicht. »Jetzt hör mir gut zu. Du musst Morrighan herbeischaffen.«
Dylan erschauerte. Das Letzte, was er wollte, war eine neuerliche Konfrontation mit der dunklen Fee. »Es muss doch noch einen anderen Weg geben.«
»Nein. Du musst sie zwingen, hier zu erscheinen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
»Aber ich habe noch nie eine Beschwörung vorgenommen.« Und das gedachte er auch in Zukunft tunlichst zu vermeiden. Der Versuch, in Morrighans Denken einzudringen, hatte schon böse Folgen gehabt. Nicht auszudenken, was passieren konnte, wenn er sie sozusagen herbeizauberte.
»Du kennst die Beschwörungsformel, ich habe sie dir oft genug vorgesagt. Und benutze den Ring.«
»Welchen Ring?«
»Den Opalring, den ich dir gegeben habe. Den, den du in deinem sporran bei dir trägst. Er stammt aus Morrighans Schatztruhen; sie weiß nicht, dass ich ihn gestohlen habe. Benutze ihn, um sie herzulocken. Er gehört ihr.«
Dylan ließ sich vor Überraschung einen Moment aus seiner Konzentration reißen. Sinann fuhr fort: »Ich weiß nicht, ob dir dein Vorhaben gelingen wird, aber du musst es versuchen. Es ist der einzige Weg, um mich zu retten.« Damit verstummte sie. Dylan spürte, wie sie von ihm fortgetrieben wurde. Sie hinterließ eine Leere in seinem Bewusstsein, die ihm eine Gänsehaut über die Arme trieb. Es war, als sei sie just in diesem Moment gestorben.
Er schüttelte sich, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, holte ein paarmal tief Atem und erhob sich dann, um sein maucht aus seinem Körper in die Erde fließen zu lassen. Allmählich ließ das wilde Hämmern seines Herzens nach, und sowie er wieder vollkommen ruhig war, schob er Brigid in die Scheide zurück, legte mehr Holz auf das Feuer, hüllte sich in sein Plaid und legte sich neben den Flammen nieder, um kurz auszuruhen und sich auf die vor ihm liegende Aufgabe vorzubereiten.
Es schien ihm, als wäre er gerade erst eingeschlafen, da weckte ihn Sinann auch schon wieder, indem sie ihm eine Windbö ins Gesicht blies. Benommen scheuchte er sie fort und setzte sich auf. Der Wald lag dunkel und still da, das Feuer war bis auf die Glut heruntergebrannt. Es musste ungefähr Mitternacht sein, die günstigste Zeit, um sein Vorhaben auszuführen.
Er brachte sein Plaid in Ordnung und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, dann zückte er Brigid, um ein paar Blätter von der nächstbesten Eiche abzuschneiden. Nachdem er das Feuer geschürt hatte, bis es hell aufflackerte, warf er die grünen Blätter darauf. Dichter Rauch stieg gen Himmel. Dylan nahm den Ring aus seinem sporran, schob ihn auf die Spitze seines Zeigefingers und wiederholte das Ritual, das er vor einigen Stunden schon einmal vollzogen hatte, nur hielt er diesmal Brigids Spitze in den Rauch, statt sie gegen die Erde zu richten.
Dann stimmte er einen monotonen Gesang an. »Dolch des Feuers,
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