Die Rettung
und sie wäre nicht in der Lage gewesen, Sarah davon zu befreien, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Außerdem hatte er die Fee seit der Nacht am Turm nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wiederholtes Suchen mit dem Götterstein war erfolglos geblieben, so war er zu dem Schluss gekommen, dass sie sich wirklich nicht mehr in seiner Nähe aufhielt. Irgendwie ärgerte ihn das. Nachdem sie ihm jahrelang auf die Nerven gegangen war, hatte sie sich einfach so ohne ein erklärendes Wort aus dem Staub gemacht.
Eines Tages saß er am Tisch und verzehrte sein Mittagessen. Die Kinder waren schon fertig und spielten draußen im Hof, Sarah wusch Strümpfe und anderes in einem Eimer; kleine Kleidungsstücke, die im Haus getrocknet werden konnten und so nah am Körper getragen wurden, dass häufiges Waschen unumgänglich war. Sie hatte eine Leinenkordel an zwei Deckenbalken befestigt und quer durch den Raum gespannt, sodass die Strümpfe direkt über dem Feuer hingen. Immer wieder betastete Sarah sie prüfend, damit sie nicht zu trocken wurden und Feuer fingen. Der Gestank verbrannter Wolle war ekelerregend; sogar für Menschen, die sich im Winter ihr Haus mit Rindern und Ziegen teilten.
Dylan beobachtete, wie sie im Raum auf und ab schritt. Sie war so groß wie Cait, aber fast alle Bewohner des Tales waren hoch gewachsen. Sarah war eine geborene Ross; eine entfernte Cousine von Caits Mutter, einer gebürtigen Sutherland. Sie hatte einen Matheson geheiratet, einen Vetter des Lairds. Aber fast jeder im Tal war um mehr oder weniger viele Ecken herum mit Iain und somit auch mit seiner Tochter verwandt, daher war etwaigen Ähnlichkeiten zwischen Sarah und Cait nicht mehr Bedeutung beizumessen als Ähnlichkeiten zwischen anderen Clansmitgliedern. Zudem war Sarah schlanker als Cait; sie hatte in den letzten Jahren stark an Gewicht verloren. Als Witwe musste sie sich allein mit zwei kleinen Söhnen durchschlagen; das schwere Leben hatte seine Spuren hinterlassen. Dylan hatte früher sehr schlanke Frauen bevorzugt, aber bald gelernt, dass in diesem Jahrhundert nur unzureichend ernährte oder kranke Menschen kaum Fleisch auf den Rippen hatten.
Sarah hatte nicht die unter den Mathesons so verbreiteten blauen Augen; ihre Augen waren tiefbraun, ihr Haar kastanienfarben. Die rosigen Wangen zeugten von einer robusten Gesundheit, die blasse Haut wies nur hier und da ein paar Windpockennarben auf. Sie war fast so alt wie Dylan, ungefähr Mitte dreißig, was man ihr auch ansah. Doch sie gehörte zu den wenigen Frauen im Tal, die nicht älter wirkten, als sie waren. Ihre Schönheit gründete auf ihrer Gesundheit, Kraft und Anmut. Dylan betrachtete sie nachdenklich, während er an einem gerösteten Bannock knabberte.
Sein Interesse entging ihr nicht. Ein feines Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Dylan wandte rasch den Blick ab, doch dann entschied er, dass er sie so lange ansehen durfte, wie er wollte, schließlich befanden sie sich in seinem Haus. Er lehnte sich zurück und musterte sie verstohlen; registrierte den sanften Schwung ihrer Hüften unter dem eng geschnürten Miederleibchen und die ruhige Gelassenheit ihrer Bewegungen. Ihre Wangen röteten sich, während sie sich bemühte, sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie wrang den nächsten Strumpf so kräftig aus, dass die Wolle nicht mehr tropfte, dann richtete sie sich auf, um ihn über die Leine zu hängen.
»Danke für das Essen«, sagte Dylan leise.
»Och«, war alles, was sie erwiderte. Und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, widmete sie sich weiter ihrer Wäsche.
Dylan sah ihr noch einen Moment dabei zu, dann zog er seinen Mantel über und ging ins Freie, um mit seiner eigenen Arbeit fortzufahren. Dabei summte er Roy Orbisons >Pretty Wo-man< vor sich hin.
Wie erwartet konnte er dieses Jahr nur zwei Fässer Whisky in seiner Höhle lagern. Nächstes Jahr würde es auch nicht besser aussehen; erneut war er gezwungen, weniger Gerste auszusäen als früher, da ein Teil der Felder ein Jahr lang brach liegen musste. Wenn er der Erde Jahr für Jahr immer neue Ernten abpresste, laugte er sie aus, bis die Felder eines Tages kaum noch Frucht tragen würden. So ließ er immer im Wechsel einen Teil seines Landes nach drei Ernten ein Jahr lang verunkrauten, damit der Boden sich erholen konnte. Als er in das Tal gezogen war, hatte das Land bereits zwei Jahre brach gelegen, und so hatte er es anfangs vollständig beackern können. Doch letztes Jahr hatte er damit angefangen, dem
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