Die Ritter des Nordens
ich noch wusste – den Engländer festhielt und ihm das Messer an die Kehle gesetzt hatte. Als sich unsere Blicke trafen, sah mich der Hausierer bedauernd an.
»Fitz Osbern ist doch schon viel zu berauscht, um sich für solche Kleinigkeiten noch zu interessieren«, entgegnete Berengar. »Er hat andere Sachen im Kopf als das Schicksal eines unbotmäßigen Mannes.«
Dass Fitz Osbern so hartherzig war, glaubte ich zwar nicht, aber Berengar würde sich ohnehin zu verantworten haben. Solange er in der Stadt blieb, hatte er kaum eine Chance, sich der Gerechtigkeit zu entziehen. Und falls er doch ohne weltliche Strafe davonkommen sollte, würde er sich am Ende zumindest vor Gott rechtfertigen müssen. Möglicherweise waren es genau solche Gedanken, die ihn jetzt innehalten oder zumindest zögern ließen. Er stand schweigend vor mir und starrte mich mit zusammengebissenen Zähnen an. Ich dachte bei jedem Atemzug, dass es mein letzter sein könne, erwartete jeden Augenblick den tödlichen Stoß, der jedoch ausblieb – bis ich das Schweigen schließlich nicht mehr aushielt.
»Und? Wollt Ihr mich jetzt umbringen, oder was? Oder wollt Ihr lieber den ganzen Tag hier herumstehen?«
Eigentlich wollte ich ihn provozieren, doch dazu klangen meine Worte viel zu zaghaft.
»Bildet Euch bloß nicht ein, dass ich Euch verschone«, sagte Berengar. »Ich möchte diesen Augenblick nur auskosten, damit ich noch lange daran zurückdenken kann.«
Genau in diesem Augenblick tauchte unmittelbar hinter ihm aus dem Rauch ein Reiter auf. Berengar konnte nicht mehr reagieren, so schnell hielt er ihm eine Speerspitze unter das Kinn, dessen flache Seite seinen Unterkiefer berührte.
»Legt das Schwert weg, Berengar fitz Warin«, sagte der Reiter, und ich war noch nie so froh gewesen, diese Stimme zu hören. Es war Lord Robert. »Legt das Schwert ganz langsam zu Boden. Sonst könnte es passieren, dass mir die Klinge ausrutscht und sich in Euren Hals bohrt.«
Berengar zögerte. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck wilder, verzweifelter Entschlossenheit. Einen schrecklichen Augenblick lang rechnete ich damit, dass er es darauf ankommen lassen und mich umbringen würde, selbst wenn er damit sein eigenes Ende besiegelte.
»Runter damit«, wiederholte Robert und forderte dann die anderen Männer auf: »Lasst den Mann da los!«
Glücklicherweise behielt Berengar die Fassung. Ohne den Blick von mir abzuwenden, ließ er die Klinge widerwillig sinken und warf sie dann zur Seite, wo sie in einer Pfütze landete. Das entsprach zwar nicht ganz Roberts Anweisungen, genügte aber, um die Situation fürs Erste zu entschärfen. Ansculf, der Roberts Privatgefolge befehligte, hob die Waffe auf.
Ich atmete erleichtert durch, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, wie mir schien, und sog die Luft tief ein.
»Los, steht auf«, herrschte Robert mich an; etwas zu barsch, fand ich, schließlich hatte ich mir ja nichts zuschulden kommen lassen. »Und Ihr«, sagte er zu Berengar, »Ihr verschwindet hier jetzt mit Euren Männern. Ihr könnt froh sein, dass ich noch einmal Gnade habe walten lassen und Ihr Euren Kopf noch auf den Schultern tragt.«
Berengar ging nicht auf Roberts Worte ein. »Wir zwei sind noch nicht fertig miteinander«, sagte er zu mir, während ich mich mühsam vom Boden erhob. »Ihr werdet Eure Unverschämtheiten noch büßen – darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
»Aber vorher ramme ich Euch noch das Schwert in die Eingeweide, bis Ihr in Eurer eigenen Scheiße ersauft«, erwiderte ich ihm und rieb mir die Stirn.
»Schluss jetzt«, sagte Robert. »Hört endlich auf, und zwar beide. Und Ihr, Berengar, Ihr verschwindet jetzt – wenn Ihr nicht wollt, dass ich Tancred die Chance gebe, sein Versprechen einzulösen.«
Berengar warf mir einen letzten bösen Blick zu, bevor er sich umdrehte und seinen Männern ein Zeichen gab; dann zogen sie gemeinsam ab. Berengar würde sich zweifellos bei Fitz Osbern über den Vorfall und die vielen Beleidigungen beschweren, die er – nach seinem Dafürhalten – hatte erdulden müssen. Ob sich unser Oberbefehlshaber für seine Klagen interessierte, war jedoch eine ganz andere Frage.
Ich wandte mich Robert zu, der mit seinem halben Gefolge erschienen war. Die Männer waren bewaffnet und trugen Panzerhemden; die Schabracken der Pferde waren durchgeschwitzt. Offenbar war der Trupp gerade von einem Erkundungsritt zurückgekehrt.
»Danke«, sagte ich. »Wenn Ihr nicht gekommen wärt …«
»Verschont mich.« Er
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