Die Ritter des Nordens
etwa ein unglücklicher Zufall gewesen, dass wir den Walisern über den Weg gelaufen waren. Vielmehr hatten ihre Kundschafter offenbar die Staubwolke aufgewirbelt, die wir unterwegs gesehen hatten. Und dann hatten wir ihnen auch noch die Chance geboten, uns in einen Hinterhalt zu locken.
»Dann seid Ihr uns also gefolgt?«, fragte ich. Anscheinend hatten sie genau gewusst, welche Route wir nehmen wollten. Und ich wusste auch sofort, wer uns verraten hatte. »Das könnt Ihr nur von Berengar erfahren haben«, sagte ich. »Er hat Euch unsere Route verraten, habe ich recht?«
»Wie der Mann heißt, weiß ich nicht«, sagte Bleddyn.
Diese Auskunft reichte mir völlig als Bestätigung. Also hatte Berengar innerhalb der vergangenen zwei Tage zwei Anschläge auf mich verübt. Zuerst hatte er versucht, mich umzubringen; und als er damit gescheitert war, hatte er mich an den Feind verraten und dafür wahrscheinlich auch noch eine hübsche Summe Silber eingestrichen. Doch hatte er nicht nur mich verraten, sondern auch Lord Robert und Beatrice. Dass er eiskalt und rachsüchtig war, wusste ich zwar schon länger, trotzdem hatte ich ihn bisher nicht für einen Verräter gehalten. Doch falls er sich eingebildet hatte, dass der Feind für ihn zu Ende bringen würde, wozu er selbst nicht imstande gewesen war, hatte er sich getäuscht. Denn ich war immerhin noch am Leben.
»Ihr hättet mich leicht umbringen können«, sagte ich. »Warum habt Ihr das nicht getan?«
Bleddyn lachte. »Was sollen wir denn mit einer Leiche anfangen? Eadric will Euch doch lebendig haben, damit er Euch zu dem Mann hoch oben im Norden bringen kann, den diese Leute ihren König nennen. Sonst zahlt der Ætheling doch keine Belohnung.«
»Was, der Ætheling?« Dann erinnerte ich mich daran, dass er ja versprochen hatte, jeden, der mich lebend zu ihm bringen würde, reich mit Gold und Silber zu entlohnen. Das hatte mir Byrthwald ja erst bei seinem letzten Besuch in Earnford erzählt. Und obwohl dieser Besuch erst ein paar Wochen zurücklag, kam er mir vor wie ein ferner Traum. Und das galt auch für Earnford selbst, das mir von Tag zu Tag unwirklicher erschien.
»Eadric hat mir melden lassen, dass er sich bereits in Marsch gesetzt hat«, sagte Bleddyn, als er sich jetzt erhob. »Er freut sich gewiss schon darauf, Euch zu sehen – das weiß ich genau.«
Dann ließ er mich liegen und erteilte einigen seiner Landsleute barsch ein paar Befehle. Kurz darauf kam ein Mann, der mir die Fußfesseln löste; doch ich hatte mich meiner neugewonnenen Freiheit kaum einige Momente erfreut, als mir schon jemand das stumpfe Ende eines Speers in die Rippen stieß.
»Kyuoda ti«, sagte ein stämmiger Waliser, der nach Pisse stank und offenbar wollte, dass ich aufstand.
Immer noch benommen erhob ich mich auf die Knie und hielt dann inne. Die Fesseln an meinen Knöcheln waren so eng gewesen, dass meine Füße noch halb taub waren und unangenehm kribbelten; deshalb war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt aufstehen konnte.
»Kyuoda ti«, wiederholte der Mann und versetzte mir einen heftigen Schlag auf den Rücken. Ich fuhr zusammen und unterdrückte ein Ächzen. Um meinen guten Willen unter Beweis zu stellen, versuchte ich auf die Füße zu kommen, was mir nach mehreren vergeblichen Anläufen auch gelang.
Kaum stand ich auf den Beinen, als der Mann mir wieder den Speerschaft in den Rücken stieß, woraus ich schloss, dass ich mich in Bewegung setzen sollte – wohin, das wusste nur Gott allein.
Während des restlichen Tages marschierten wir nach Westen. Hier und da trieben Bleddyns Männer mich an; einige machten sich einen Spaß daraus, meinen ungeschützten Rücken mit Kieselsteinen zu bewerfen, während andere mich in ihrem grobschlächtigen Französisch beschimpften und beleidigten. Ich ließ dies alles über mich ergehen, biss die Zähne zusammen, sooft mich ein Stein traf, und konzentrierte mich ganz darauf, immer wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Sonne brannte mir unerträglich auf die Schultern, der Schweiß rann mir in Strömen über das Gesicht, und die Stelle an meinem Hinterkopf, wo mich der Schlag getroffen hatte, schmerzte immer noch heftig.
Wir erreichten unser Ziel erst lange nach Einbruch der Dunkelheit: ein kleines Dorf mit baufälligen Häusern und einer großen Halle, die für meinen Geschmack allerdings mehr an eine Scheune erinnerte, die ihre besten Tage zudem schon hinter sich hatte. Wie es schien, waren dort bereits vor uns
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