Die Rose von Darjeeling - Roman
Nachbarn.
Gesine verdrehte vieldeutig die Augen. »Weißt du es denn noch nicht? Die lassen sich scheiden!«
»Nein! O wie schrecklich!«
Auch Ivy, geschwächt, aber elegant gekleidet wie immer, ließ aus den Tiefen ihres Polstersessels ein verächtliches Schnauben vernehmen. »Man lässt sich nicht scheiden.«
»Ja, es ist ein Skandal«, steuerte ein anderer Nachbar bei, der bei der Sparkasse arbeitete. »Wir geben solchen Leuten auch grundsätzlich keinen Kredit. Da weiß man doch gleich, dass sie unzuverlässig sind. Die haben auch sonst ihr Leben nicht in Ordnung.«
»Aber sie ist doch schuldlos geschieden«, wusste eine andere Nachbarin.
Natürlich, überlegte Carl, er würde vor Gericht alle Schuld auf sich nehmen, um für Gesine wenigstens die Schande so gering wie möglich zu halten. Er schenkte die kleinen Schnapsgläser voll und stellte zwei Weizenkornflaschen zur Selbstbedienung auf die Tische.
»Gustav, du hast schon gut getankt«, sagte er, »darfst du noch einen?«
»Immer her damit!« Gustav hielt ihm sein Glas entgegen. Wer ihn besser kannte, hörte, dass er schon ein wenig lallte. Er wollte einen kleinen eifersüchtigen Nagewurm in sich zum Schweigen bringen, deshalb kippte er die Schnäpse heute Abend in sich hinein: Gesine war schon wieder schwanger! Drei Kinder hatten sie schon, und zwei Söhne, und jetzt kam noch eines, wahrscheinlich noch ein Stammhalter. Er gönnte es seinem Freund ja. Aber wieso der und nicht er? »Schenk noch einen ein, Carl! Neulich bin ich mit meinem neuen Mercedes vom Gallimarkt nach Hause gefahren, da hält mich der Dorfsheriff an …«, er schlug mit der Faust auf den Tisch, »und sagt doch allen Ernstes zu mir: ›Herr ter Fehn, Sie sind ja nicht mehr nüchtern, nun fahren Sie aber mal auf dem schnellsten Weg nach Hause!‹«
Er hatte die Lacher auf seiner Seite. »Carl, erzähl uns was von deiner Reise …«
Und Carl berichtete. Dass er die Königsfamilie gesehen und eine der dreißig Goldmedaillen für die Rose-von-Darjeeling-Züchtung gewonnen hatte. Und dass in London auch noch viele Ruinen das Stadtbild verdüsterten.
»Hast du alte Bekannte getroffen?«, wollte Gustav wissen.
Carl verspannte sich, er hoffte, dass er nicht rot wurde. »Den Sohn vom alten Meir. Von der Baumschule, wo ich als junger Knilch hospitiert hab. Ach, und eine ganze Reihe von Berufskollegen …«
»Wie war denn das mit der Quarantäne?«, fragte Änne Siefken, sie stolperte besonders heftig über den s-pitzen S-tein. »Gesine und deine Eltern haben sich ja solche Sorgen gemacht. Die S-panische Grippe! Da sind doch nach dem Ersten Weltkrieg Millionen Menschen von ges-torben.«
»War’s ja zum Glück nicht«, versuchte Carl das Thema rasch zu beenden.
Gustav kannte ihn nun aber zu gut. Auch ihm war aufgefallen, dass eine schwer fassbare Veränderung mit Carl vorgegangen war. Eine besondere Kraft umgab ihn, die ihn distanzierte von den anderen. Gustav hatte die Beobachtung zunächst nur unterschwellig registriert, dann auf Carls Freude über das vierte Kind geschoben. Und auf seinen Stolz über die Goldmedaille, denn davon hatte Carl seit frühester Jugend geträumt, und er, Gustav, wusste schließlich am besten, welche Entbehrungen und Kämpfe Carl für seine Rhododendren auf sich genommen hatte.
Schlagartig fühlte Gustav sich ernüchtert. Diese Aura oder wie immer man es nennen sollte, hatte ihn doch schon einmal umgeben, 1930, als sein Freund und Kathryn in heißer Liebe entbrannt waren.
Carl rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Gustavs Blick brannte auf ihm. Er erhob sich, als müsste er dringend als Gastgeber aktiv werden. »Habt ihr genug Zigaretten? Im Büro sind noch welche, ich hol sie.«
Gustav folgte ihm. Seine Prothese klackte leise bei jedem Schritt, sein Gehstock machte auf dem Parkett tacktack, tacktack, tacktack. Im Flur stellte Gustav seinen Freund.
»Du hast sie wiedergesehen. Stimmt’s?«
»Wen?«
»Du weißt genau, wen ich meine! Kathryn!«
Carl merkte, dass er jetzt rot wurde. Die Zigarettenschachteln in seinen Händen verrutschten und purzelten auf den Boden.
Er zögerte schon zu lange, um noch glaubwürdig lügen zu können. Natürlich hätte er seinen Freund einweihen wollen, aber nicht so und nicht heute. Carl sah Gustav an, Gustav las die Wahrheit in seinem Blick und explodierte vor Eifersucht wie Rumpelstilzchen.
»Du verdammtes Arschloch! Betrügst deine schwangere Frau, bumst die Lady, belügst uns alle. Was bis du für ein
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