Die Rose von Darjeeling - Roman
sie den Rhodo, dessen Ursprünge allein in ihrer Fantasie lagen. »Er ist perfekt«, jubelte sie ganz unbritisch, »auch die Blätter und die Form!« Kathryn ging ganz nah heran, befühlte die Blätter, schnupperte an den letzten Blüten, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Sie wandte sich ab. Um nicht die Haltung zu verlieren, machte sie eine kleine Runde durch das Kalthaus, das ansonsten der Orchideenzucht vorbehalten war. Überall blühten exotische Raritäten.
Mit einem Lächeln kehrte Kathryn zurück. »Danke Carl, es ist das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe.«
Noch einmal roch sie an einer der welkenden Dolden. Und lächelte wieder. Mit Blütenstaub an der Nase deklamierte sie: »Du spürst, wie die Blumen die köstlichen Düfte versenden und grübelst, wie aus so winzigem Ort dieser Duftstrom mag kommen – und begreifst, dass in solcher Mitte die Ewigkeit ihre unvergänglichen Tore öffnet.«
»Donnerwetter, das hast du schön gesagt …«
»Danke. Ist nicht von mir.«
»Ein Gedicht?«
»Von William Blake.«
»Er muss diesen Rhodo gekannt haben«, meinte Bill Landsbury.
»Leider nicht. Blake ist schon über hundert Jahre in der Ewigkeit …«
Sie besprachen mit Bill Landsbury, dass er Carls Ausstellungspflanzen einschließlich der Rose von Darjeeling, natürlich gegen angemessene Bezahlung, noch für eine Weile in Pflege behielt.
»Es kann ein paar Wochen oder sogar Monate dauern«, sagte Carl. »Aber ich gebe Bescheid, sobald wir wissen, wohin die Pflanzen geliefert werden sollen.« Sie könnten ein wertvoller Grundstock für seinen Neubeginn mit Kathryn sein.
Am Londoner Bahnhof Victoria-Station nahmen sie Abschied voneinander.
»Bis bald, mein Geliebter.«
»Bis bald, meine Geliebte.«
Ammerland
Juni bis September 1951
Die zusammengestellten Tische im Wohnzimmer des Hauses Jonas bogen sich unter kalten Platten mit belegten Schwarz- und Graubroten. Alle Gäste, die auf Stühlen drumherumsaßen, langten plaudernd und lachend kräftig zu. Gesine hatte sich zur Nachfeier von Carls Geburtstag mit Nachbarn, Freunden und Verwandten nicht lumpen lassen. Es gab Mettwurst und Räucherschinken, Kochschinken und Smoortaal satt, auch Käse, alles mit Petersilie und kleinen Mayonnaisetupfern hübsch garniert, dazu noch eine heiße Suppe. Und natürlich reichlich Bier und »Schluck«, klaren Schnaps. Nachbar Siefken spielte ein Ständchen auf dem Akkordeon. Ab und zu guckte mal eines der Kinder im Schlafanzug um die Ecke. Es durfte kurz »Guten Abend« sagen und einen Schluck Birnenmost trinken, bevor es wieder ins Bett musste.
Dass Carl sie seit seiner Rückkehr aus England fünf Tage zuvor nicht angefasst hatte, schob Gesine auf seine übertriebene Rücksichtnahme ihrer Schwangerschaft wegen. Er war irgendwie anders. Nicht dass er krank aussah. Im Gegenteil – er schien von innen heraus zu strahlen. Aber sie kam nicht so recht an ihn heran. An diesem Abend würde sie ihn mal ein wenig ermutigen.
Carl fühlte sich extrem unwohl. Schon am Tag seiner Rückkehr hatte er es ihr sagen wollen. Doch natürlich musste der Augenblick auch passen. Gesine hatte ihn so freudig zur Begrüßung umarmt, und sie strahlte wieder diese über allen irdischen Ärgernissen schwebende Zufriedenheit mit sich und der Welt aus, die sie jedes Mal umgab, wenn sie schwanger war. Sie steckte mit Feuereifer mitten in den Vorbereitungen für das Fest zu Carls Ehren. »Am Samstag kommen alle. Freust du dich?«
Gleich danach am Sonntag, hatte Carl sich fest vorgenommen, wollte er es ihr schonend beibringen. Morgen war Sonntag.
Er hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen. Seinen Kindern gegenüber. Seinen Eltern und erst recht natürlich Gesine gegenüber. Aber er hatte sie niemals auch nur ansatzweise so geliebt, wie er Kathryn liebte. Das Schicksal hatte ihm eine zweite Chance geschenkt. Die musste er nutzen. Die Sehnsucht nach Kathryn war schon jetzt kaum zu ertragen. Den Rest seines Lebens wollte er nur mit ihr verbringen.
Trotzdem war ihm flau im Magen. Es gab jede Menge unangenehmer Dinge zu regeln: Wer sollte die Baumschule leiten? Wie teilten sie das Familienvermögen auf? Wie verkrafteten es seine Eltern, dass er ins Ausland ging? Er würde vielen Menschen, die er liebte, Kummer zufügen. Aber da mussten sie durch, so hart es auch werden mochte. Carl genehmigte sich einen Kräuterschnaps, quasi als Medizin.
»Wieso sind Schröders nicht gekommen?«, fragte Änne Siefken, die Frau des musikalischen
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