Die Rose von Windsor: Historischer Roman (German Edition)
Roger nahm die in der Mitte. Es war ein gefährliches Unterfangen, aber ihnen blieb nichts anderes übrig, wenn sie den äußeren Burghof einnehmen wollten. Über ihm stieß einer der Soldaten einen gurgelnden Laut aus und stürzte, von einem Pfeil in den Hals getroffen, in die Tiefe. Roger hielt seinen Schild hoch und den Kopf gesenkt und kletterte weiter. Sein Puls rauschte in seinen Ohren. Es war eine Weile her, seit er sich körperlich verausgabt oder trainiert hatte, auch wenn er im Großen und Ganzen aktiv geblieben war. Zwar hatte er Militärdienst geleistet, aber nicht mehr mitten im Getümmel kämpfen oder gar töten müssen. Vor über zwanzig Jahren war er in die Schlacht von Fornham gezogen, als junger Mann, der den Weg in die Unabhängigkeit beschritt. Heute musste er andere Wege einschlagen.
Der Sergeant über ihm auf der Leiter erreichte die Brustwehr und schwang sich auf den Wehrgang. Waffengeklirr hallte durch die Luft. Anketil sprang von der obersten Sprosse der Leiter, Roger folgte ihm. Ein Soldat ging mit einer Axt auf ihn los. Roger kam zum Stehen und duckte sich unter dem Hieb hinweg, sodass er mit seinem Gegner zusammenprallte. Sein Schwert nutzte ihm auf diesem engen Raum nichts, aber es gelang ihm, seinen Dolch zu ziehen und ihn in die ungeschützte Achselhöhle des Mannes zu rammen. Der Soldat sackte in sich zusammen, und Roger schleuderte ihn von der Palisade.
Er machte sich nicht die Mühe, sicherheitshalber noch einmal nach unten zu spähen, einen Sturz aus dieser Höhe konnte der Verwundete nicht überleben. Stattdessen vertauschte er den Dolch mit seinem Schwert und kämpfte sich zum Tor weiter.
Dieses erzitterte unter den Rammbockstößen. Als immer mehr Männer des Königs auf die Palisade stürmten, zogen sich die Verteidiger zurück und überließen die Brustwehr den Belagerern. Der Kampf am Torhaus tobte weiter. Roger fand sich mit einem Mal neben William Marshal wieder. Mit vereinten Kräften versuchten die Angreifer, den verzweifelten Widerstand der Garnisonssoldaten zu brechen. Es war ein kräftezehrendes, blutiges Unterfangen, in dessen Verlauf Roger spürte, dass seine Bewegungen allmählich flüssiger wurden, und das Kampfgeschick des Marschalls war so beeindruckend, dass sich nur wenige Gegner an ihn heranwagten. Roger dankte seinem Schöpfer insgeheim dafür, dass sie auf derselben Seite kämpften.
Von der Burg her erscholl ein Horn – das Signal zum Rückzug. Die Garnisonssoldaten wichen zum Außenwerk zurück, das die erste Mauer schützte. Sowie sich der letzte Mann in Sicherheit gebracht hatte, setzte der Pfeil-und Steinhagel von neuem ein. Das Dröhnen des Rammbocks verstummte, Richards Männer hatten das Tor von innen geöffnet, und der Rest der Truppen strömte ungehindert hindurch. Der Rammbock wurde unter begeisterten Jubelrufen in den Hof getragen.
Schwer atmend bedeutete Roger Anketil, die Männer um das Bigod-Banner zu scharen, das Hamo Lenveise in die Höhe hielt. Die goldene Seide war mit Blut bespritzt, der Stab von einer Schwertklinge beschädigt. Eine Hand gegen seine schmerzende Seite gepresst trat Roger zu einem gefallenen Soldaten und hob den neben seinem Leichnam liegenden Speer auf.
»Nimm den hier als Ersatz«, sagte er.
Lenveise löste das Banner behutsam und band es an den Speerschaft. Auf der Mauer hinter dem Außenwerk fuhren die Gegner fort, sie mit Drohungen und Beschimpfungen zu überschütten. William Marshal gesellte sich zu Roger, der fast mit Erleichterung registrierte, dass seine Brust sich heftig hob und senkte – ein Beweis dafür, dass auch der Marschall nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war.
»Die erste Hürde ist genommen«, keuchte William triumphierend. »Jetzt müssen wir nur noch das Außenwerk und zwei Mauern überwinden, dann haben wir den Bergfried erreicht.«
»Eine lösbare Aufgabe?« Roger fragte sich, wie steif und verkrampft er am nächsten Morgen erwachen würde. Er rief seinen Knappen herbei und wies ihn an, herauszufinden, wie viele seiner Männer verwundet waren.
William zuckte die Achseln.
»Vielleicht. Es hängt davon ab, wie viel Kampfgeist sie noch haben.«
Roger musterte das Außenwerk und die zweite Mauer. Ein Regen von Dungklumpen ergoss sich in den Hof.
»Bezüglich ihres gesunden Menschenverstandes sehe ich schwarz.«
William grinste.
»Sogar bei Narren sollte man auf Vernuft hoffen. Früher oder später geht ihnen der Mist aus, und dann sehen wir weiter.«
Roger blieb neben dem Wachposten
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